Wie mit einem Donnerschlag beginnen die "Carmina Burana" des Komponisten Carl Orff, sie zählen zu den populärsten Musikwerken des vorigen Jahrhunderts. Die Gesänge schafften es sogar bis in die Hotelaufzüge und Kaufhäuser. Zum ersten Mal aufgeführt wurde das wuchtige Opus 1937. Mitten in der Zeit des Nationalsozialismus war der 42-jährige Orff plötzlich ein berühmter Mann der Moderne geworden.
Virtuos altertümelndes Musikantenhandwerk
Die lateinischen Texte hatte er im bayerischen Kloster Benediktbeuern ausgegraben. Auf sie, die Texte, solle man achten, meinte noch der Siebzigjährige, die Musik sei nicht die Hauptsache.
"Das Wichtige ist der Text, der grandiose mittelalterliche Text der Carmina Burana. Der wurde mit den Mitteln der Musik Klang – und mit den Mitteln der Darstellung Bild . . . Die Sprache ist ja nicht eine Ansammlung von Worten, oder besteht nicht in Worten, sondern die Sprache ist Geist. Und der Geist, der hinter diesen Worten ist, die in einer toten Sprache etwas Magisches haben, der wurde lebendig."
Text und Klang, Sprache, Geist und Magie, das sind die Elemente der Kunst des Carl Orff. Die musikalischen Zutaten für die mittelalterliche Anmutung sind stampfender Rhythmus und spröde Melodik, Chorgewalt, Schlagzeug, das Prinzip Repetition, das Theaterhafte. Orffs virtuos altertümelndes Musikantenhandwerk stand allerdings quer zum musikalischen Fortschritt damals, etwa der intellektuellen Schönberg-Schule, dafür erntete er viel Applaus von den Ideologen eines "deutschen Kulturerbes".
Künstlerischer Durchbruch mit "Carmina Burana"
Geboren in München am 10. Juli 1895 als Sohn eines Offiziers, begann der Fünfjährige mit dem Klavierspiel - da kannte er übrigens schon das Oktoberfest, liebte Marionettentheater und Puppenspiele. Musikstudent, Theaterkapellmeister, Soldat im Ersten Weltkrieg, dann Familienvater. Der künstlerische Durchbruch gelang Orff, als er seine eigene Version des barocken "Orfeo" von Monteverdi wagte. Es folgten die "Carmina Burana" und eine Oper nach Grimms Märchen "Die Kluge". Den Prologsatz dazu sprach er bei der Aufnahme Jahre später selbst.
"Die Geschichte von dem König und der klugen Frau." (Musik: "Oh, hätt’ ich meiner Tochter nur geglaubt …")
Beschwörungskünstler seiner selbst
Geglaubt, gehofft hat der robuste Theatraliker Carl Orff nach Weltkrieg und Nazi-Zeit gewiss, dass ihm, dem eigentlich Unpolitischen, seine Mitläuferschaft im Dritten Reich verziehen werde. Er fand jetzt zu einer Operngattung, die er "Bairisches Welttheater" nannte, mit Stücken wie der tragischen "Bernauerin" oder der erzbayrischen Komödie "Astutuli", dem Satyrspiel um einen übertölpelten Schlaumeier. Orff, der Beschwörungskünstler seiner selbst.
"Astutuli ! Astutuli ! Astutuli ! So heißt das Spiel. Astutuli ! So wie man will. Astutuli, an jedem Ort ! Astutuli, mit einem Wort ! Astutuli, die Witzigen! - So heißt das Spiel."
Die Kraft weniger Töne
Es gibt für Carl Orff die Gegenwelt des Pädagogischen, seine Musik für Kinder, die er, jahrzehntelang ausgetüftelt, mit einem "Schulwerk" erfreute. Und dann ergründete er ausgiebig die griechische Tragödie mit seinem Musiktheater. Im März 1982 starb Carl Orff in seiner Geburtsstadt München.
Unübertroffen in ihrer Überzeugungs- und Schlagkraft blieben die "Carmina Burana". Das Phänomen Carl Orff hat sein Münchner Schüler Wilhelm Killmayer, selbst Komponist, lapidar zusammengefasst:
Unübertroffen in ihrer Überzeugungs- und Schlagkraft blieben die "Carmina Burana". Das Phänomen Carl Orff hat sein Münchner Schüler Wilhelm Killmayer, selbst Komponist, lapidar zusammengefasst:
"Orff ist für mich der unakademischste und undogmatischste Komponist, den ich kenne. Nicht die Pracht vieler Töne, sondern die Kraft weniger Töne ist es, die seine musikalische Sprache so faszinierend macht."