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Vor 125 Jahren geboren
Elsa Triolet - eine große Schriftstellerin im Schatten

Hierzulande ist sie wenig bekannt geblieben. Dabei gehört die gebürtige Russin Elsa Triolet zu den großen französischen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Am 24. September 1896 wurde die erste Gewinnerin des Prix Goncourt in Moskau geboren.

Von Doris Liebermann |
    Schwarzweiß-Aufnahme der russisch-französischen Schriftstellerin Elsa Triolet, Ehefrau von Louis Aragon und Schwester von Lilja Brik
    Elsa Triolet erhielt 1945 als erste Frau den begehrten Prix Goncourt (Imago/ United Archives International)
    "Ich denke gern an Tahiti zurück, erzähle aber ungern davon. Mama sagt immer, ich hätte ein ungeistiges Verhältnis zu Ereignissen und zur Umwelt. Andrej schenkte mir ein kleines Pferdchen. Dem Äquator, der Hitze und den Kokosnüssen zum Trotz taufte ich es Taniuscha."
    Der russische Schriftsteller Viktor Schklowski war unglücklich in die junge und attraktive Elsa Triolet verliebt. Als er ungefragt drei ihrer Briefe in seinem Berlin-Buch "Zoo oder Briefe nicht über die Liebe" veröffentlichte, wurde Maxim Gorki auf Elsa Triolet aufmerksam und ermutigte sie zum Schreiben. Ihr erstes Buch, ein sozialkritischer Reisebericht über Tahiti, erschien 1925 in der Sowjetunion. Auch ihre ersten Romane erschienen dort.
    "Meine Eltern stammen aus dem Baltikum und sind ausgewandert, sind nach Moskau gegangen, wo ich geboren wurde. Mein Vater hat Jura studiert, meine Mutter war Musikerin. Unsere Familie ist über die ganze Welt verstreut. Alle haben mit Kunst und Wissenschaft zu tun und mit Musik."

    Unerwidert in Majakowskij verliebt

    Elsa Triolet wurde am 24. September 1896 als Ella Jurjewna Kagan in Moskau geboren. Ihr Elternhaus beschrieb sie als " ein bürgerlich-intellektuelles Milieu. Da das Milieu meiner Eltern nicht meins war, habe ich mir ein eigenes geschaffen. Es bestand hauptsächlich aus Poeten."
    Als sie 15 Jahre alt ist, lernt sie den noch unbekannten futuristischen Dichter Vladimir Majakowskij kennen. Er ist ihre erste Liebe. Sie bringt ihn mit nach Hause. Doch Majakowskij verliebt sich in Elsas Schwester, die schon verheiratete Lilja Brik. Aber es ist Elsa, die später seine Gedichte ins Französische übersetzt. Doch ihr Metier ist ein anderes: "Mit achtzehn studierte ich an der Baufachschule Architektur. Ich hatte eine große Passion für die Malerei und hatte eine Passion für die Mathematik."
    Sara-Maria Saalmann in einer Szene aus der Oper "Elizabetta" von Gabriel Prokofjew im Theater Regensburg.
    Kunst ist Leben, Leben ist Kunst
    Eine Lange Nacht über Sergej Prokofjew, Wladimir Majakowskij und Elsa Triolet: die Veröffentlichung der skurrilen und fantastischen Erzählungen des Komponisten Sergej Prokofjew im Jahre 2012 wurde als Sensation gefeiert.

    Nach der Oktoberrevolution 1917, als Millionen Russen vor Hunger und Bürgerkrieg ins Ausland fliehen, heiratet Elsa den französischen Offizier André Triolet und reist mit ihm über Amerika nach Tahiti. Die Ehe hält nicht, sie kehrt nach Europa zurück. Den Namen Triolet behält sie und räsoniert später: "Vielleicht hätte ich in mein Land zurückgehen können oder sogar müssen, aber darüber dachte ich gar nicht nach."
    Es folgen Wanderjahre zwischen London, Berlin, Paris und Moskau, bevor sie sich ganz in Frankreich niederlässt. Sie verkehrt in Künstlerkreisen, berühmte Fotografen porträtieren sie: Henri Cartier-Bresson, Man Ray, Alexander Rodschenko, Gisèle Freund. In Paris kommt es 1928 zu einer schicksalhaften Begegnung mit dem schon bekannten surrealistischen Schriftsteller Louis Aragon. Beide werden ein Liebespaar, ihre Lebensgemeinschaft dauert 42 Jahre lang. "Aragoscha", wie sie ihn nennt, glorifiziert sie in seinen poetischen Texten:
    "Du, an jenem Abend in der Bar der Coupole.
    Ein streunender Schatten war ich lange zuvor
    Verfehlte mein Ich nächtig und taub.
    Du erst, Licht meines Lebens, hast mich erhellt,
    bis ich erblickte die Farbe des Tages."
    Aufnahme des französischen Schriftstellers Andre Breton. Er wurde am 19. Februar 1896 in Tinchebray (Orne) geboren und verstarb am 28. September 1966 in Paris. Er gehörte mit Aragon, Eluard und Peret zu den Begründern des Surrealismus.
    André Breton und der Surrealismus - Die Suche nach dem Gold der Zeit
    Nach dem Ersten Weltkrieg gründet der Dichter André Breton in Paris einen Kreis von Künstlern, die sich den Surrealismus auf die Fahnen schreiben. In ihren Manifesten fordern sie, die Welt und das Leben zu verändern.

    Tragische Frauenfiguren und Science-Fiction

    Doch Triolet - die Russin steht als Schriftstellerin im Schatten Aragons. Sie beginnt, auf Französisch zu schreiben, in einer einfachen Sprache, in einfachen, realistischen Sujets. Ihr erster Roman auf Französisch, "Bonsoir, Thérèse", trägt wie viele andere ihrer Bücher autobiografische Züge. Ihre Frauenfiguren sind einsam und leiden an enttäuschter Liebe, sie haben Angst vor verfallender Schönheit, vor dem Alter und vor Armut. Auch tragische Emigranten- und Kriegsschicksale, Gesellschaftskritik und Science-Fiction gehören zu Elsa Triolets Stoffen. Einmal bekannte sie: "Wäre das Schreiben nicht gewesen, hätte ich womöglich Hand an mich gelegt, so schwer und furchtbar ist es zuweilen gewesen."
    Während des Zweiten Weltkrieges arbeiten Elsa Triolet und Louis Aragon – beide sind Kommunisten - für die Résistance. Für ihre Novellen aus dieser Zeit erhält sie 1945 als erste Frau den begehrten Prix Goncourt. Elsa Triolet stirbt 1970 in ihrem Landhaus, einer alten Mühle bei Paris - zwölf Jahre vor Louis Aragon.