Es gibt eine Hans-Fallada-Renaissance zu bestaunen, mit der niemand gerechnet hat. Sie beginnt 2009 in England. Sein letzter Roman "Jeder stirbt für sich allein" erscheint dort zum ersten Mal ungekürzt: Die in Gestapo-Akten recherchierte Geschichte eines Arbeiterehepaars, das mit Postkarten zum Widerstand gegen das Hitler-Regime aufruft. Das Buch wird ein Bestseller. Falladas deutscher Verlag, der bis dahin immer nur die zensierte Schrumpfversion von 1947 aufgelegt hat, zieht nach. 300.000 Mal verkauft sich das deutsche Original. Fallada hat es kurz vor seinem Tod in 24 Tagen niedergeschrieben. Sein Arbeitspensum war gigantisch.
"Es durfte überschritten, aber nicht unterschritten werden. Auf diese Weise kamen allmählich 20, bis zu 25 Seiten zusammen. An einem Tag", erinnert sich Hans Falladas erste Ehefrau Anna Ditzen. "Bei den meisten späteren Büchern, da ist es doch so gewesen, dass er jedes Buch eigentlich mit einem Sanatoriumsaufenthalt bezahlt hat."
"Es durfte überschritten, aber nicht unterschritten werden. Auf diese Weise kamen allmählich 20, bis zu 25 Seiten zusammen. An einem Tag", erinnert sich Hans Falladas erste Ehefrau Anna Ditzen. "Bei den meisten späteren Büchern, da ist es doch so gewesen, dass er jedes Buch eigentlich mit einem Sanatoriumsaufenthalt bezahlt hat."
Persönlichkeitsspaltung bestimmt Falladas Schreiben
Hans Fallada ist ein Pseudonym, angelehnt an zwei Märchen der Brüder Grimm. Der Vorname bezieht sich auf "Hans im Glück", Fallada auf ein sprechendes Pferd, das die Wahrheit verkündet. Geboren wird er am 21. Juli 1893 in Greifswald als Rudolf Ditzen, Sohn des Landrichters. Schon als Jugendlicher leidet Fallada unter Schlafstörungen und Zwangsvorstellungen.
Biograf Peter Walther: "Er hat den Eindruck gehabt, es gäbe zwei Fallada: Der eine macht etwas, was gar nichts mit ihm zu tun hat, aber der andere muss sich dafür verantworten." Die Persönlichkeitsspaltung, so Biograf Peter Walther, treibt den zu Sadismus neigenden Jugendlichen zu vier Selbstmordversuchen. Und sie bestimmt seine literarische Arbeit, wie Peter Walther erläutert:
"Es gibt für ihn […] die Möglichkeit, aus dieser doppelten Wirklichkeit auszubrechen. Man kann dieses Ausbrechen als Rausch beschreiben, wie er es selbst getan hat. Und dieses Ausbrechen hatte [...] produktive Formen: […] In der Welt der Literatur erfindet er sich sozusagen ein neues Leben. Und das Kontraproduktive, das war eben der tatsächliche Rausch - […] da fallen sofort die Stichworte Morphium, Kokain. Aber es war nicht nur das. Es waren auch Zigaretten, damit fings an, […] 150 Zigaretten am Tag."
Schreiben als Ersatz-Sucht
Hinzu kommt Falladas Alkoholsucht, die er in seinem postum erschienenen Roman "Der Trinker" schonungslos beschreibt. Mit 24 Jahren beginnt seine Odyssee durch Entzugsanstalten und Gefängnisse. Denn er muss betrügen und stehlen, um an Nachschub zu kommen. 1925 heißt es in einem gerichtsmedizinischen Gutachten, Fallada sei "ein ausgesprochen entarteter Psychopath".
Im Gefängnis wird das Schreiben zu Falladas Ersatz-Sucht. Das dort Erlebte verarbeitet er in seinem Roman "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst". Sein nüchterner, eingängiger Stil kommt bei den Lesern an. Mit "Kleiner Mann – was nun?" gelingt ihm 1932 der Durchbruch. Fallada beschreibt den sozialen Absturz des Buchhalters Johannes Pinneberg während der Weltwirtschaftskrise.
"Plötzlich begreift Pinneberg, dass er draußen ist, dass er hier nicht mehr hergehört, dass man ihn zu Recht wegjagt: ausgerutscht, versunken, erledigt. Ordnung und Sauberkeit: Es war einmal. Arbeit und sicheres Brot: Es war einmal ... Armut ist nicht nur Elend, Armut ist auch strafwürdig, Armut ist Makel, Armut heißt Verdacht."
Im Gefängnis wird das Schreiben zu Falladas Ersatz-Sucht. Das dort Erlebte verarbeitet er in seinem Roman "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst". Sein nüchterner, eingängiger Stil kommt bei den Lesern an. Mit "Kleiner Mann – was nun?" gelingt ihm 1932 der Durchbruch. Fallada beschreibt den sozialen Absturz des Buchhalters Johannes Pinneberg während der Weltwirtschaftskrise.
"Plötzlich begreift Pinneberg, dass er draußen ist, dass er hier nicht mehr hergehört, dass man ihn zu Recht wegjagt: ausgerutscht, versunken, erledigt. Ordnung und Sauberkeit: Es war einmal. Arbeit und sicheres Brot: Es war einmal ... Armut ist nicht nur Elend, Armut ist auch strafwürdig, Armut ist Makel, Armut heißt Verdacht."
Fallada zerstört, was ihn aufrecht hält
Die geliebte Frau wird im Roman zur Retterin: so wie Anna Issel, genannt Suse, im wirklichen Leben. Nach der Heirat kauft Fallada einen kleinen Hof im mecklenburgischen Carwitz. Er wird schreibender Landwirt und Vater von vier Kindern. Doch die Machtübernahme der Nationalsozialisten zwingt ihn zu Zugeständnissen. Zeit- und Sozialkritik sind unerwünscht. Das Ende seines Romans "Der eiserne Gustav" muss er auf Druck der Machthaber umschreiben. Auch einen antisemitischen Roman will er liefern. Während des Zweiten Weltkrieges folgt der Rücksturz in die Sucht. Fallada zerstört, was ihn aufrecht hält: seine Ehe mit Suse. Nach der Scheidung heiratet er eine weit jüngere Frau, die ebenfalls drogenabhängig ist. Seinen letzten Roman schreibt er unter Morphium.
"Er ist sowohl im Politischen wie im Literarischen wie auch im Lebensweltlichen ein extrem widersprüchlicher Mensch gewesen. […] Und diese Figuren, die sich bei Fallada im Kopf gebildet haben, […] diese Motive, Handlungsabläufe, Geschichten, die drängten darauf, rauszukommen", sagt Biograf Peter Walther.
Im Alter von 53 Jahren, nach fast dreißig Romanen, stirbt Hans Fallada. Die Veröffentlichung des letzten - "Jeder stirbt für sich allein" - erlebt er nicht mehr.