In den Schützengräben des Ersten Weltkriegs entdeckt ein Jurastudent seine künstlerische Ader: László Moholy-Nagy, geboren am 20. Juli 1895 in einem österreichisch-ungarischen Grenzort, hält auf Feldpostkarten Szenen aus dem Frontalltag fest oder porträtiert Zivilisten und Militärs.
Seine Buntstiftzeichnungen – gekonnt, aber auch sehr konventionell – sind einer Bilderwelt entsprungen, die er wenige Jahre später verwerfen wird. Als frisch ernannter Lehrer am Bauhaus distanziert sich Moholy-Nagy 1923 von der überkommenen, bürgerlichen Ästhetik:
"Bild und Plastik waren in der gut bürgerlichen Wohnung Zeichen der vornehmen 'Gesinnung', die Bilder vergrößerte Ornamente, die Plastiken billige Stukkatörarbeit."
"Telefonbilder" und "Fotogramme"
Um dieses dekorative Blendwerk, um die farbig übermalte Realität zu durchdringen, besinnt sich der Künstler auf militärische Techniken wie Luftbildfotografie, Messbildverfahren und Geräuschortung. Damit konnte er als Artillerieoffizier Zielkoordinaten erfassen und über Feldfernsprecher sofort weitergeben.
Nun greift Moholy-Nagy zum Telefon, um Formate, Farben und Maße seiner auf Millimeterpapier konstruierten Entwürfe an eine Fabrik zu übermitteln, wo sie als Emailschilder produziert werden. Die industriell gefertigten "Telefonbilder" sind sehr erfolgreich. Und als Mitherausgeber der Bauhaus-Bücher folgt Moholy-Nagy der Strategie:
"Kunst und Technik – eine neue Einheit."
Sein Fotoapparat zerlegt den Eiffelturm in ein abstraktes Muster von Eisenstreben. Seine Filmkamera tanzt im Rhythmus der Großstadt. In der Dunkelkammer legt Moholy-Nagy direkt auf das Fotopapier Rasierklingen, eine Küchenreibe oder Nadel und Faden, belichtet diese Anordnungen – und erhält die negativen Schattenrisse der Objekte. Das ist die Geburtsstunde der am Bauhaus beliebten "Fotogramme".
Licht und Bewegung als Werkstoffe
Die neuen Techniken sind kein Selbstzweck, sie sollen das Publikum auf neue Ideen bringen, ihm "Denk-Räume" eröffnen. So experimentiert der Künstler mit der Fotomontage scheinbar disparater Motive, die durch eingängige Schriftzüge schlagartig verständlich werden.
Die Kombination von Typographie und Lichtbild nennt Moholy-Nagy "Typofoto" – und macht damit Werbung, unter anderem für Jenaer Glas. Tafelbild und Historiengemälde, Marmorrelief oder Bronzebüste aber passen nicht mehr in die Zeit – und Moholy-Nagy verkündet:
"Der neue Maler wird Gestalter von Lichtrelationen und der neue Plastiker Gestalter von Bewegungsbeziehungen. Beide werden recht wenig mehr mit den bisherigen Erscheinungsformen der Malerei bzw. Plastik zu tun haben."
"Übers technische zum bewegten Bild"
Lichtspiele sollen die Leinwände ersetzen, aus elektromagnetischen Kraftfeldern kinetische Skulpturen entstehen. Moholy-Nagy entwirft motorgetriebene Konstruktionen aus spiegelnden Metallstäben und perforierten Glasscheiben, zwischen denen farbige Glühbirnen aufleuchten. Mit diesem "Raum-Licht-Modulator" schießt der Avantgardist noch einmal weit über die Dunkelkammerexperimente der Fotogramme hinaus. Der Fotokünstler und -theoretiker Floris Neusüss erkannte darin einen Wendepunkt:
"Die Entwicklung von dem statischen Bild – also weg von dem handgemachten Bild – über das technische Bild zum bewegten Bild. Das ist diese Lichtmaschine, die Fotogramme in Bewegung setzt."
Emigration in die USA
Nachdem er 1928 das Bauhaus verlassen hat, erreicht der Maler, Fotograf und Designer 1930 auf der Werkbundausstellung in Paris den Gipfel seiner Medienkunst: Seine Rauminstallation vereint Architekturmodelle des "Totaltheaters" von Walter Gropius und eigene Bühnenbilder für den Regisseur Erwin Piscator mit dem "Triadischen Ballett" Oskar Schlemmers.
Alexander Dorner, der Museumsreformer der Weimarer Republik, ist begeistert und beauftragt Moholy-Nagy mit einem "Raum der Gegenwart". Die Nazi-Diktatur macht diesen Plänen ein Ende. László Moholy-Nagy emigriert über England in die USA, übernimmt dort die Leitung der School of Design – und hinterlässt nach seinem Tod im November 1946 mit dem Buch "The New Vision" ein Schlüsselwerk der Moderne: die Medientheorie für Design, Malerei, Skulptur und Architektur im 20. Jahrhundert.