Freie Fahrt für freie Bürger. So dachten Ende des 19. Jahrhunderts wohlhabende Pariser Bürger, die sich die neumodischen, benzingetriebenen Kutschen ohne Pferd leisten konnten. Knapp 2.000 davon gab es in ganz Frankreich. Die meisten dieser Vehikel machten die Straßen von Paris unsicher, auf denen häufig Wettfahrten stattfanden. Aber noch war der althergebrachte "Haferantrieb" Favorit bei der Fortbewegung.
Verkehrsregeln gab es nicht
Die Revolution hatte zwar 100 Jahre zuvor unter Robespierre schon den Rechtsverkehr eingeführt, und Napoleon ihn auf fast ganz Europa übertragen, aber sonstige Verkehrsregeln gab es nicht. Keine Vorfahrtsschilder, keine Tempolimits. Und so kam es immer wieder zu spektakulären Unfällen der 2 bis 3 PS starken Karossen. Paris zählte damals schon neben London und New York zu den verkehrsreichsten Städten der Welt.
Am 14. August 1893 ordnete deshalb der Pariser Polizeipräsident Louis Lépine an, dass jedes Auto ein Nummernschild erhalten und jeder Automobilist eine Fahrprüfung ablegen müsse.
Zuständig wurde das Pariser Inspektorat für Dampfmotoren im Bergbauamt. Dort verfügte man über genügend Kompetenz bei motorisierten Antrieben. Fahrprüflinge mussten vor allem kleine Reparaturen erledigen können. So waren etwa platte Reifen an der Tagesordnung, da Pferde ständig Hufnägel verloren. Das Fahren mussten sie sich nach genauen Anweisungen der Hersteller selbst beibringen. Schon das Startritual war eine Herausforderung:
"Erstens: Mit Handpumpe Druck im Öltank aufbauen bis Öl zu Motorlagern läuft.
Zweitens: Benzinhahn auf und Vergaser fluten.
Drittens: Gemisch-Regulator auf 'Mitte'.
Viertens: Kurbeln, bis Motor läuft. Aufpassen, dass Kurbel nicht zurückschlägt."
Zweitens: Benzinhahn auf und Vergaser fluten.
Drittens: Gemisch-Regulator auf 'Mitte'.
Viertens: Kurbeln, bis Motor läuft. Aufpassen, dass Kurbel nicht zurückschlägt."
Wer das ohne Armbruch überstanden hatte, durfte einmal um einen Pariser Wohnblock fahren, um zu beweisen, dass er lenken und bremsen konnte. Am Ende unterschrieb der Prüfling ein Dokument, in dem er bestätigte, dass er über genügend Charakter verfüge und weder Fußgänger noch Ochsenkarren zu behindern trachte. Sechs Jahre später wurde der Führerschein in ganz Frankreich eingeführt.
Deutschland setzte vorerst weiter auf gegenseitige Rücksichtnahme
In Deutschland galt dagegen noch das Landrecht für Pferdefuhrwerke und ein Appell zur gegenseitigen Rücksichtnahme. Hier wollte man sich die weitere Entwicklung noch anschauen. Zumal der pferdebegeisterte Kaiser Wilhelm II. dem neuen Verkehrsmittel noch skeptisch gegenüber stand und gesagt haben soll:
"Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung!"
Doch viele freuten sich auf das umweltfreundliche Auto, da die Straßen in den Großstädten allmählich im Pferdemist versanken. Andere dagegen verteufelten die Automobilisten, weil sie etwa Anordnungen von Geschwindigkeits-Obergrenzen "eines trabenden Pferdes" nicht einhielten. Wer mit überhöhtem Tempo 15 etwa durch geschlossene Ortschaften sauste, musste mit spontanen Lynch-Kommandos rechnen, wenn er Hühner oder anderes Getier unter die Räder bekam.
Fahrerflucht war an der Tagesordnung
Fahrerflucht war an der Tagesordnung. 1902 erließ die preußische Regierung ein erstes Verkehrsgesetz, wonach Abbiegen durch Handzeichen anzukündigen war:
"Hiermit wird angeordnet, eine tunlichst gleichmäßige Handhabung der polizeilichen Vorschriften im Bereiche der ganzen Monarchie sicherzustellen".
In allen Ländern stellten Behörden nach und nach unterschiedlichste neuartige Verkehrsschilder auf. Eine österreichische Automobilzeitung etwa empfahl:
"Durch die Einführung von so vielen Zeichen wird leicht eine Verwechslung herbeigeführt werden. Der Automobilist muss deshalb stets einen kleinen Leitfaden bei sich führen, um seinem Gedächtnis nachzuhelfen."
Der Siegeszug des Automobils war schließlich unaufhaltsam. 1909 einigten sich Teilnehmer einer internationalen Automobilkonferenz in Paris auf erste einheitliche Verkehrszeichen, wie das Symbol einer Kreuzung. Im gleichen Jahr zog auch Deutschland mit einer Führerscheinpflicht nach. Kaiser Wilhelm II. beauftragte den Dampfkesselüberwachungsverein, kurz DÜV, Vorläufer des TÜV, Fahrprüfungen abzunehmen. Wer sie bestehen wollte, musste mindestens 18 Jahre alt sein und den Besuch einer Fahrschule nachweisen. Frauen allerdings durften noch bis 1958 den Führerschein nur mit Erlaubnis ihrer Ehemänner erwerben.