"Verdammte Frauen
Wie Vieh, nachdenkliches, so ruhn sie auf dem Sande und wenden ihre Augen nach dem Horizont der Meere; und ihre Füße suchen, ihre Hände greifen sich in süßem Sehnen und mit bitterem Schaudern."
Wie Vieh, nachdenkliches, so ruhn sie auf dem Sande und wenden ihre Augen nach dem Horizont der Meere; und ihre Füße suchen, ihre Hände greifen sich in süßem Sehnen und mit bitterem Schaudern."
1857 erschien Les fleurs du mal – Die Blumen des Bösen. Lyrik eines verrufenen Pariser Dandys aus bester Familie. Die Empörung war groß. Die Staatsanwaltschaft erhob gegen den Dichter und seinen Verleger Anklage. Sechs Gedichten, darunter "Verdammte Frauen", wurde die Verhöhnung der öffentlichen Moral und der guten Sitten angelastet.
"Ihr, denen in eurer Hölle meine Seele nachging, arme Schwestern, ich liebe euch so, wie ich euch beklage, um eurer dumpfen Schmerzen, eures ungestillten Dürstens und um der Liebes-Urnen willen, deren eure großen Herzen voll sind!"
Der Dichter stand unter Vormundschaft
Der Verfasser Charles Baudelaire, 1821 als Sohn eines kunstversessenen, wohlhabenden, aber früh verstorbenen Verwaltungsbeamten geboren, musste die inkriminierten Texte für die zweite Auflage tilgen und eine Geldstrafe zahlen. Er war damals 36 Jahre alt, hatte einige Gedichte und Novellen in Zeitschriften veröffentlicht, einen Großteil seines Erbes mit seiner Geliebten, der Schauspielerin Jeanne Duval, und anderen zweifelhaften Damen durchgebracht und sich als Übersetzer Edgar Allen Poes und Verfasser kunstkritischer Essays einen Namen gemacht.
Wegen seiner unsteten Lebensweise und seiner Vorliebe für Kokotten stand er schon seit 1844 unter Vormundschaft und durfte nicht frei über sein Vermögen verfügen, was vor allem sein gestrenger Stiefvater, ein autoritärer Offizier, veranlasst hatte. 1848 begeisterte sich Baudelaire für die Revolution und beteiligte sich am Juni-Aufstand. Als die reaktionäre Seite an Macht gewann, zog er sich ernüchtert zurück und konzentrierte sich auf seine literarische Arbeit. In den Gedichten seiner Sammlung "Die Blumen des Bösen" herrschen Tod, Zerstörung, und Hass, nur manchmal durchbrochen von Momenten der Schönheit. Paris erscheint als ein Ort der Unruhe und der Verderbnis:
"Um mich herum heulte die betäubende Straße. Hochgewachsen, schlank, in tiefer Trauer und hoheitsvollem Schmerz, ging eine Frau vorbei; mit prunkvoller Hand hob und wiegte sie der Röcke Spitzen und Saum; Und ich, erregt wie ein Phantast, trank aus ihrem Auge, einem fahlen Himmel vor dem Sturm, die Süße, die betört, die Lust, die tötet."
Sein Grundzustand ist der der Melancholie
Das Ich ist zerrissen, sein Grundzustand ist der des Ennui, der Melancholie. Mit seinem Lyrikband gelang Baudelaire ein ästhetischer Meilenstein: Die Sujets waren fremd, die Formensprache reichte vom klassischen Sonett bis zur Parodie religiöser Dichtung. In seinen Essays machte sich der Schriftsteller zur Eigenart des Schönen und seiner Verbindung mit dem Grotesken Gedanken:
"Das Schöne ist immer bizarr. Es enthält ein wenig Bizarrerie, naive Bizarrerie, ungewollt und unbewusst, und eben durch die Bizarrerie ist es gerade erst das Schöne."
Es sei die Aufgabe der Kunst, den Schock der Wirklichkeit durch Imagination zu verwandeln.
Unter den Pariser Kollegen und Freunden ahnte man, wie bahnbrechend Baudelaires Neuerungen waren. Er arbeitete an Schriften über den Maler Constantin Guys, Richard Wagners Tannhäuser und die Wirkung von Rauschmitteln, die er nur zu gut aus eigenen Erfahrungen kannte. Opium, Haschisch und Alkohol befeuerten seine Phantasie, es gab eine Fülle von Abstürzen, gleichzeitig verstrickte er sich in verschiedene Affären und war notorisch pleite. Als Jeanne Duval 1858 schwer krank wurde, bezahlte er ihr ein Pflegeheim und schlüpfte bei seiner verwitweten Mutter unter. Gesundheitlich von Syphilis angegriffen, ging er 1864 nach Brüssel in der Hoffnung, dort mit Vorträgen Geld verdienen zu können. Das Vorhaben misslang. Nach einem Schlaganfall kehrte er zerrüttet nach Paris zurück, wo ihn seine Mutter pflegte. Sprechen konnte er nicht mehr. Am 31. August 1867 starb Charles Baudelaire mit nur 46 Jahren. Seine Gedichte markieren den Beginn der Moderne.
"Und Leichenzüge, stumm, kein trauernd Grablied singend,
Ziehn langsam durch mein Herz; die Hoffnung siegberaubt,
Flieht weinend, und die Angst, entsetzlich, allbezwingend,
Pflanzt ihre Fahne schwarz auf mein gesenktes Haupt."
Ziehn langsam durch mein Herz; die Hoffnung siegberaubt,
Flieht weinend, und die Angst, entsetzlich, allbezwingend,
Pflanzt ihre Fahne schwarz auf mein gesenktes Haupt."