Nach der Kapitulation Napoleons III. 1870 im deutsch-französischen Krieg sieht es zunächst nach einer friedlichen Revolution aus: Das kaiserliche Regime ist gestürzt und die Republik ausgerufen. Doch in der neugewählten französischen Nationalversammlung dominieren die alten Kräfte: die Monarchisten.
Paris blieb von preußischen Truppen belagert
Nach Aushandlung des Waffenstillstands mit den Deutschen zieht sich die Regierung unter Adolphe Thiers nach Versailles zurück. Der Grund: Die Entwaffnung der Pariser Nationalgarde, immerhin 100.000 Mann, ist gescheitert. Die Mehrheit der nach wie vor von preußischen Truppen eingekesselten Pariser will – anders als die Provinz - weiterkämpfen. Dazu Jacques Rougerie, Historiker an der Pariser Sorbonne:
"Anfangs weiß niemand, wohin es gehen soll. Das Zentralkomitee der Nationalgarde sagt sich: Gut, es gibt nur eine Lösung: Kommunalwahlen- Aber die Regierung in Versailles verweigert sie"
"Anfangs weiß niemand, wohin es gehen soll. Das Zentralkomitee der Nationalgarde sagt sich: Gut, es gibt nur eine Lösung: Kommunalwahlen- Aber die Regierung in Versailles verweigert sie"
Wahlen wider den Willen der Regierung
Natürlich fürchtet die Regierung, dass die Wahl nur die Partei der radikalen Republikaner stärken könnte, die als Partei der Revolution gilt, als Partei der extremen Linken, die in Paris zu dominieren scheint. Thiers jedenfalls ist kategorisch: Er verhandelt nicht mit Leuten, die er von Anfang an als Aufständische betrachtet hat.
"Euch das Frankreich des Priesters, uns das des Fortschritts"
Trotzdem finden die Wahlen zur "Commune", der Pariser Gemeindevertretung statt. Da viele Bürgerliche die Hauptstadt wegen der unsicheren Lage verlassen haben, liegt die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent. Das Ergebnis ist wie erwartet: Drei Viertel der Abgeordneten gehören zum linken Lager. Am 28. März 1871 versammeln sich 100.000 Pariser vor dem Rathaus, dem Hôtel de Ville. Fahnen werden geschwenkt: die blau-weiß-rote Trikolore neben den roten Fahnen der siegreichen Linken. Und die Ansage der "Commune" in Richtung Nationalversammlung:
"Euch das Frankreich des Priesters, uns das des Fortschritts";
"Euch das Frankreich des Fanatismus, uns das der Intelligenz;
Uns die Idee, Euch die Ignoranz;
Euch das Verbrechen, uns die Menschlichkeit."
"Euch das Frankreich des Fanatismus, uns das der Intelligenz;
Uns die Idee, Euch die Ignoranz;
Euch das Verbrechen, uns die Menschlichkeit."
Patriotische und soziale Forderungen
Die Marseillaise, das berühmte Kriegslied aus den Jahren der Französischen Revolution von 1789, wird angestimmt. Mit der feierlichen Proklamation der "Commune" will die Hauptstadt ein Zeichen des Patriotismus setzen: Kein Schandfrieden mit den Deutschen! Kein Verlust von Elsass und Teilen Lothringens! Der Kampf soll weitergehen! Gleichzeitig will man eine sozial gerechtere Politik durchsetzen – vor allem mit Blick auf die sozialen Brennpunkte im Osten, den Arbeitervierteln: so heißt es in einer Deklaration der Pariser "Commune":
"Mit der kommunalen Revolution […] setzt eine neue Ära der experimentellen, der positiven und wissenschaftlichen Politik ein"
"Sie markiert das Ende der alten gouvernementalen und klerikalen Welt, des Militarismus, des Funktionärswesens, der Ausbeutung, der Spekulation, der Monopole, der Privilegien, die das Proletariat knechteten und dem Vaterland nur Unglück brachten.
Kirche und Staat werden getrennt
Der Grundschulunterricht wird kostenlos, die Berufsschulausbildung für Mädchen unterstützt, die Nachtarbeit für Bäcker verboten. Kirche und Staat werden getrennt. Die Eigentumsrechte aber rührt man nicht an. Trotzdem sieht die Nationalversammlung in der Pariser "Commune" die Vorboten des Sozialismus. Denn die Mehrheit ihrer Abgeordneten stammt aus der Provinz. Dazu Jacques Rougerie:
"In Paris findet sich die ganze Verachtung, die der Städter gegen das Land hegt. Von Bauerntölpeln ist die Rede, von politisch unterentwickelten Analphabeten mit barbarischem Einschlag. Und es ist eben diese Masse, die für die Nationalversammlung votiert hat, damit sie Frieden schließt: pour faire la paix!
Die "Commune" gegen die Nationalversammlung, die Pariser Nationalgarde gegen die Regierungstruppen: Das gleicht dem Kampf zwischen David und Goliath. Anfang Mai 1871 unterzeichnet Frankreich den demütigenden Friedensvertrag mit den Deutschen. Im Gegenzug lässt der neue deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck die französischen Kriegsgefangenen frei. Denn er will klare Verhältnisse im Nachbarland, damit die Kriegsreparationen auch bezahlt werden. Adolphe Thiers soll die Pariser "Commune" abstrafen. Doch der Widerstand der Bevölkerung in den Arbeitervierteln im Osten nimmt ungeahnte Ausmaße an. Die "Commune" wird zum politischen Mythos.