Ein kaum zu stillender Wissensdurst und ein nicht minder großer Forscherdrang beseelten sie ihr Leben lang. Und wiewohl Maria Gräfin von Linden sich den Zugang zur Universität erst hart erkämpfen musste, war sie doch der Ansicht, ein Glückskind zu sein.
"Unter gutem Omen hielt ich meinen Einzug in die Welt. Es war am 18. Juli 1869, an einem heißen, sonnigen Sonntagnachmittag um drei Uhr, als ich unter dem festlichen Glockengeläut des 'Salve Regina' zum Erdenbürger erwachte."
Ihre Wiege stand in einem alten Stauferschloss, "Burgberg" genannt, am Rande der Ostalb gelegen, im schönen Schwabenland. Dort wuchs sie in Freiheit auf, blieb weitgehend verschont von den Zwängen ihres Standes, und wie wir ebenfalls ihren Memoiren entnehmen, wäre sie lieber ein Bub gewesen. Privatunterricht bekam sie vom Lehrer sowie vom Pfarrer des Dorfes. Im Alter von 14 Jahren trat sie ins Karlsruher Victoria-Pensionat ein, um auf ein Leben als höhere Tochter vorbereitet zu werden. Ihre Intelligenz und Talent aber waren unübersehbar, weshalb man begann, sie nach Kräften zu fördern.
"Außer Heimat und außer meinen Eltern gab es nun noch ein Drittes, die Arbeit, um Wissen zu erwerben, vielleicht um Wissen zu schaffen, und dieses Dritte war so mächtig, so unwiderstehlich, dass ich ihm alles andere zu opfern bereit war. Unsere pekuniäre Lage war auch nicht derart, dass ich, ohne meine Selbständigkeit zu verlieren, ein Drohnenleben führen konnte, ich wollte weder heiraten noch von meinen Verwandten abhängig sein, auch diesem zu entrinnen, half nur die Arbeit."
Beeindruckende Disziplin und Wissensdurst
Mit beeindruckender Disziplin machte sie schließlich als Externe und erste Frau Württembergs an einem Stuttgarter Gymnasium ihr Abitur. Einige Unverbesserliche versuchten noch zu verhindern, was ihr nicht mehr zu nehmen war, zumal sie auch schon auf dem Feld der Geologie international anerkannte wissenschaftliche Arbeiten vorgelegt hatte: 1892 begann sie als erste Frau das Studium an der Universität Tübingen. 1895 bekam sie für ihre Dissertation über die "Entwicklung der Gehäuseschnecken des Meeres" den Doktor der Naturwissenschaften.
Unterstützung fand sie in der namhaften Tübinger Frauenrechtlerin Mathilde Weber, mit der sie in Dankbarkeit verbunden, jedoch nicht immer einer Meinung war.
"Die Frau, die in das akademische Leben eintrat, sollte aber um Gotteswillen nichts vom 'Blütenstaub' verlieren und Urbild der Weiblichkeit bleiben. So sehr Frau Weber nun meine Pionierarbeit anerkannte, so konnte sie sich nicht damit abfinden, dass ich, die ich doch so lange auf meine Bubwerdung gewartet hatte, eben doch stark zur Verkörperung des "dritten Geschlechts" neigte. Ich trug Jackenkleider mit steifem Kragen, Männerhüte, Schuhe, die in ihrer Massivität, Form und Größe ebenfalls an das Männliche grenzten, stand in bester Kameradschaft mit den Kommilitonen, errötete nicht, wenn in der Vorlesung von Männlein und Weiblein die Rede war, kurz - aus meinen Staubbeuteln war der Blütenstaub schon verflogen oder nie in denselben gebildet worden.
Erste Professorin der Universität Bonn
1899 wurde Maria von Linden zunächst Assistentin am Zoologischen Institut Bonn, später Leiterin der neuen Abteilung Parasitologie am dortigen hygienischen Institut. 1910 wurde ihr als erster Frau der Universität Bonn der Titel Professor verliehen. Die venia legendi, die öffentliche Lehrbefugnis, blieb ihr allerdings verwehrt. 1933 wurde sie von den Nazis zwangspensioniert. Sie emigrierte ins Fürstentum Liechtenstein, wo sie 1936 im Alter von 67 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung starb.
"Wenn ich heute sehe, wie Männlein und Weiblein einträchtiglich Seite an Seite in Hörsaal, Laboratorium und Seminar Wissenschaft schöpfen, erscheint es mir unglaublich, welche Summe von Arbeit, Ausdauer und diplomatischer Kunst nötig war. An Schatten hat es freilich nicht gefehlt auf meinem Werdegang, aber zum Schluss hat doch immer mein strahlender Tagesregent, die Sonne, gesiegt; und heute, wo ich Professor bin, denke ich oft und gern zurück an die Kämpfe und Freuden der "ersten Studentin von Tübingen"."