Wer hat das Telefon erfunden? Eine Frage, über die noch heute gestritten wird: Gemeinhin gilt der Amerikaner Graham Bell als Urvater, er erhielt das erste Patent. Andere dagegen sehen einen Deutschen als Pionier – den Lehrer Philipp Reis aus Friedrichsdorf im Taunus.
"Wie nimmt unser Ohr die Gesamtschwingungen aller zugleich tätigen Sprachorgane wahr?"
Reis, geboren 1834 als Sohn eines Bäckers, genoss zwar keine akademische Ausbildung, war aber seit seiner Jugend von den Naturwissenschaften fasziniert – so von der Frage, wie das menschliche Gehör funktioniert. Zunächst absolvierte er eine Lehre in einem Farbenhandel und besuchte die Handelsschule. Erst als er 1858 als Lehrer in einem Knabenpensionat in Friedrichsdorf anfing, konnte Reis seinen Interessen einen größeren Platz einräumen.
Selbstgeschnitzte Ohrmuschel
"Reis hat sich unter anderem mit dem Gehör beschäftigt, mit den Gehörwerkzeugen", erzählt Lioba Nägele vom Museum für Kommunikation Frankfurt. "Und da gibt's dann eine direkte Linie zur Erfindung des Telefons, indem er nämlich ein menschliches Ohr aus Holz, ein Modell, geschnitzt hat. Und da die Gehör-Werkzeuge nachgebildet hat, mit dem Ziel, diese Prinzipien zu nutzen, um Töne in die Ferne zu übertragen, ein ‚Telephon‘ zu erfinden."
Das Trommelfell der selbstgeschnitzten Ohrmuschel bestand aus einer Wursthaut, das Gehörknöchelchen aus einem Platinstreifen. Die Vorrichtung konnte Schall in elektrische Impulse umwandeln, die dann per Kabel zu einer mit Kupfer umwickelten Stricknadel geleitet wurden. Die wiederum geriet durch die Impulse ins Schwingen und wandelte sie dadurch zurück in Schallwellen.
"Ich nannte das Instrument Telephon."
Test mit einem sinnlosen Satz
Einen ersten Test wagte Reis an seiner Schule. Um die Tonqualität zu prüfen, sprach ein Kollege sinnlose Sätze, die Reis in einem anderen Raum verstehen sollte. Geklungen haben mag das so: "Das Pferd frisst keinen Gurkensalat."
"Das Pferd frisst keinen Gurkensalat" – so soll der erste Satz gelautet haben, der über ein Telefon gesprochen wurde. Reis verstand zwar nur die Hälfte, fühlte sich aber angespornt, das Gerät weiter zu verbessern. Er ersetzte die Ohrmuschel durch einen Trichter und verstärkte die Schwingungen der Stricknadel durch den Korpus einer Geige. Am 26. Oktober 1861 demonstrierte er seine Apparatur erstmals öffentlich, vor den Mitgliedern des Physikalischen Vereins in Frankfurt.
Musikalisches wird übertragen
"In Frankfurt 1861 ist der erste große Vortrag mit Vorführungen, wo er Töne reproduziert. Tatsächlich wird wohl bei diesem Vortrag Musikalisches nur dargeboten."
Die Klänge eines Waldhorns wurden über eine Strecke von 100 Metern passabel übertragen, ebenso menschlicher Gesang. Dagegen zählte die Übermittlung des gesprochenen Worts nicht zu den Stärken des Apparats, das musste auch Reis zugeben. "Es ist mir bis jetzt nicht möglich, die Tonsprache des Menschen mit einer für jeden hinreichenden Deutlichkeit wiederzugeben."
"Es gibt einen fulminanten Konstruktionsfehler, der gerade die Übertragung gesprochener Sprache mit einem Reis‘schen Telefon extrem schwierig macht", sagt Joseph Hoppe vom Berliner Zentrum Industriekultur. Die Schwachstelle war die Empfängerseite des Telefons. Sie konnte zwar einfache Musik verarbeiten, aber schwächelte beim komplexen Frequenzgemisch der menschlichen Sprache. Dennoch baute Philipp Reis eine Kleinserie seines Telefons. Zum Stückpreis von 12 Talern – heute rund 200 Euro – wurden sie vor allem in Labors und physikalische Kabinette geliefert. Ein Exemplar landete in den USA beim schottischstämmigen Erfinder Graham Bell. Dieser ersetzte den Empfänger des Reis’schen Apparats durch eine Anordnung von Magnetspulen. "Das war das Entscheidende: Er hat ein genial einfaches Reproduktionsprinzip für Sprache in Elektrizität gefunden."
"Ich habe der Welt eine große Erfindung geschenkt"
Im Februar 1876 meldete Bell sein Telefon zum Patent an und gründete ein Unternehmen, aus dem später der amerikanische Telefongigant AT&T hervorging. Damit sollte Bell andere Erfinder ausstechen, insbesondere seinen Landsmann Elisha Gray sowie den Italiener Antonio Meucci. Philipp Reis hingegen war es weniger um wirtschaftlichen Erfolg gegangen als um die Anerkennung der Fachwelt. Die blieb zwar lange aus, nicht zuletzt wegen seiner fehlenden akademischen Ausbildung. Dennoch sollte der Erfinder aus dem Taunus 1874, ein Jahr vor seinem Tod, den Erfolg seiner Idee treffsicher vorhersagen.
"Ich habe der Welt eine große Erfindung geschenkt, anderen muss ich es überlassen, sie weiterzuführen. Aber ich weiß, dass auch dies zu einem guten Ende kommen wird."