Aus der Sicht bayerischer Bierdimpfl mag es bitter klingen: Seit Ende der 1970er Jahre ist die meistgetrunkene Biersorte in Deutschland das Pilsener. Sogar gebürtige Münchner Bierexperten wie Dr. Alexander Jean-Jacques greifen mitunter zum Pils.
"Des is historisch begründet. Des stammt aus der Werner-Zeit. Werner Brösel. Flaschbier, Flensburger in der Plöpp-Flasche. Des war damals Kult. Und so hat man sich dann mit dem Geschmack vertraut gemacht. Und hat ihn lieb gewonnen."
Zum ersten Mal ausgeschenkt wurde Bier nach Pilsener Art am 11. November 1842. Natürlich im böhmischen Pilsen. Ein nicht näher bekannter Zeitgenosse notierte bierselig:
"Welche Bewunderung brachten wir dem glitzernden Gold im Glas entgegen, gekrönt von einer schneeweißen Blume! Wie erfreuten wir uns am unvergleichlichen Geschmack, der alle bisherigen Biere übertrifft."
Erfunden hat das Original-Pils ein Bayer
Erfunden hat das Pilsner Urquell, wie das Original-Pils bis heute heißt, jedoch kein Tscheche oder Böhme, sondern der Brauersohn Joseph Groll aus Vilshofen in Niederbayern. Ein Mann, der seinem Namen alle Ehre machte.
"Muss a recht widerlicher Typ g‘wesen sein. Sein Vater hat behauptet: der widerlichste Bayer in Bayern", so Dr. Alexander Jean-Jacques.
Aber er war ein guter Brauer. Bayerische Bierbrauer galten damals überhaupt als die besten der Welt. Den Grundstein für diesen Ruhm hatte im Jahr 1807 der königliche Braumeister Gabriel Sedlmayr gelegt, indem er die heruntergekommene Münchner Spatenbrauerei erwarb und nach eigenen Vorstellungen von Grund auf renovierte.
Seit den Tagen der alten Sumerer war Bierbrauen immer reine Glückssache gewesen. Oft wurde das Bier gleich nach dem Brauen sauer oder muffig im Geschmack. Nur selten war es von guter Qualität. Denn gebraut wurde nach dem Zufallsprinzip. Gabriel Sedlmayr gehörte zu den ersten, die Braukunst demgegenüber unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten erforschen wollten. Von Erfolg gekrönt wurde dieses Streben, als Sohn Gabriel II. eine ausgedehnte Spionagetour durch Großbritannien unternahm. Zusammen mit seinem Freund Anton Dreher, dem Erben der bei Wien gelegenen Schwechater Brauerei.
"Niemand will uns das Geheimnis der britischen Gärungsmethode verraten. Wir müssen es uns daher selbst verschaffen, zu welchem Zweck wir kleine Fläschchen mit frischem Biersud füllen, ohne daß es die britischen Brauer bemerken dürfen. Deshalb lassen wir uns Stöcke machen, von Blech, unten mit einem Ventil, so daß wenn man den Stock hineintaucht, er sich füllt, beym Herausnehmen schließt sich das Ventil und wir haben das Bier im Stock."
So fanden die beiden heraus, dass das Geheimnis der damals konkurrenzlos hohen britischen Braukunst einmal im Gebrauch des auf dem Kontinent noch völlig unbekannten Saccharometers, alias Würzspindel, lag – und zum anderen in der peniblen Kontrolle der Gärtemperatur.
"Der englische Bräuer reguliert mit Hülfe dessen seine Gährung so genau, daß er beynahe immer gleiches Produkt erzielen muss."
Industriespionage in England
Dank der durch Industriespionage gewonnenen Erkenntnisse galten das bayerische und das Wiener Bier alsbald als die besten auf dem Kontinent. Im böhmischen Pilsen lag das Brauwesen dagegen noch sehr im Argen. 1838 fiel die dort gepanschte Plörre so grässlich aus, dass die Obrigkeit 36 Fässer davon vor dem Rathaus in die Gosse kippen ließ. Dann beschloss man den Bau eines modernen großen Brauhauses mit einem sage und schreibe neun Kilometer langen unterirdischen Kühlgewölbe. 1842 war es fertig und man warb den genannten Josef Groll als Braumeister an. Der braute dann nach bayerischer Art, aber mit einheimischer Gerste, Saazer Hopfen und weichem Pilsener Wasser ein Bier, das im Gegensatz zum dunklen bayerischen und bernsteinfarbenen Wiener goldgelb aus dem Faß sprudelte.
"Es ist ihm gelungen, seine Gerste so zu mälzen, dass sie hell wurde. Es war des erste helle Bier. Und durch die Verwendung der dort vorhandenen Zutaten - recht a weiches Wasser und aromatischer Hopfen, von dem man auch relativ viel reingetan hat, weil man der Meinung war, dass es besonders gesund wäre -, hat sich dann per Zufall mehr oder weniger dieses Pils entwickelt", erklärt Dr. Alexander Jean-Jacques.
Die Pilsener freuten sich sehr über ihr gutes neues Bier. Über seinen cholerisch veranlagten niederbayerischen Schöpfer jedoch weniger. Nach nur drei Jahren jagten sie ihn wieder zum Teufel. Doch noch bis zum Jahr 1900 beschäftigten sie ausschließlich bayerische Braumeister. Insofern können eigentlich auch bayerische Bierdimpfl auf die heute weltweit schwappende Pilswelle stolz sein.