Hinter dicken Schlossmauern: Kalter Steinfußboden, kleine Fenster; in einer Ecke des Raumes ein Haufen Wundverbände, getränkt mit Eiter; über allem der beißende Geruch von reinem Alkohol und Ether. Im Schlosslabor, der ehemaligen Küche des Tübinger Schlosses, war es bitterkalt im Winter 1869. Heute ist dort ein Museum, präsentiert von Museumsleiter Ernst Seidl.
"Und hier war eben die Schlossküche; angrenzend dann die Waschküche des Schlosses, die, als das Labor 1818 eingerichtet war, dann dem biochemischen Labor zugeschlagen wurde."
Im Schlosslabor forschte 1869 ein junger Wissenschaftler namens Friedrich Miescher, nicht ahnend, dass seine Entdeckung die Biologie späterer Jahrhunderte revolutionieren sollte.
"Hier war übrigens auch der Schreibtisch von Friedrich Miescher. Er notiert auch, dass er von seinem Schreibtisch aus den Brunnen im Schlosshof sehen kann. Und er beklagt sich auch über die Kälte in diesem Labor. Im Winter war es eiskalt, es gab keine Heizung, was natürlich für die Arbeit nicht so gut war, aber für die Präparate umso besser. Es war ja ein dauerhafter Kühlschrank."
Die neue Wissenschaft: Biochemie
Friedrich Miescher – geboren am 13. August 1844 - stammte aus einer angesehenen Schweizer Ärztefamilie. Sein Vater und sein Onkel lehrten als Professoren an der Universität Basel.
Ralf Dahm vom Institut für Molekularbiologie in Mainz hat viele Informationen über Friedrich Miescher zusammengetragen.
"Der war ein sehr junger Arzt, er hat in Basel, seiner Heimatstadt, Medizin studiert, ist auch approbierter Arzt geworden, hat sich dann aber dagegen entschieden als Mediziner zu arbeiten. Er war generell ein sehr introvertierter Mensch, und ich würde vermuten, dass die schwierige Kommunikation mit Patienten ihn dazu geführt hat, zu sagen: Ich will kein Arzt werden. Ich will lieber Wissenschaftler werden."
Friedrich Miescher hatte gehört, dass in Tübingen eine neue Wissenschaft entstand: die physiologische Chemie, später Biochemie genannt. Dort begann er seine Forscherkarriere, und gleich in seinem ersten Projekt machte Friedrich Miescher eine wichtige Entdeckung. Er wollte die Zellkerne erforschen, die er als winzige, runde Strukturen unter dem Mikroskop im Innern vieler Zellen sehen konnte.
Die Entdeckung des Nuklein
Als Ausgangsmaterial wählte er weiße Blutzellen. Um an sie zu gelangen, ging er in die Kliniken vor Ort und sammelte gebrauchtes Verbandsmaterial – voller Blut und Eiter, denn darin hoffte er viele Zellkerne zu finden. Ralf Dahm konnte Mieschers Methoden Schritt für Schritt rekonstruieren.
"Als Ausgangmaterial hatte Miescher die Verbände, an denen der Eiter hing. Die hat er gewaschen. Danach hat er das, was er bekommen hat, die wässrige Lösung, in der die Eiterzellen schwammen, filtriert, um zum Beispiel Stoffreste von den Verbänden loszuwerden."
In einer Zentrifuge trennte der junge Wissenschaftler die Zellkerne vom Rest der Zellen. Dann entfernte er mit Alkohol, Ether und anderen Lösungsmitteln nach und nach alle biologischen Substanzen, die man bereits kannte: die Eiweiße, die Fette, die Zucker und andere Kohlenhydrate.
"Er hatte aber trotzdem eine Substanz, die übrig geblieben war nach diesen Behandlungen. Damit wusste er: Das ist wahrscheinlich etwas Neues."
Miescher nannte die neue Substanz "Nuklein", weil er sie im Zellkern – lateinisch Nucleus – gefunden hatte.
Was Friedrich Miescher in der ehemaligen Schlossküche entdeckt hatte, revolutionierte fast hundert Jahre später die Biologie. Das "Nuklein" kennt heute fast jeder als Erbsubstanz DNS oder DNA, das Molekül des Lebens.
Die Relevanz seiner Entdeckung blieb Miescher verborgen
"Was Miescher leider nicht gelungen ist: Das Molekül DNA mit einer Funktion zu verbinden. Also herauszufinden: Was macht DNA eigentlich in der Zelle oder in Lebewesen an sich."
Friedrich Miescher wurde später wie sein Vater Professor in seiner Heimatstadt Basel. Weiterhin suchte er nach dem geheimnisvollen "Nuklein" und fand es unter anderem im Sperma von Lachsen. Das große Geheimnis der Substanz blieb ihm jedoch verborgen. Erst 1944 vermuteten amerikanische Wissenschaftler, dass die DNA die Erbinformation codiert.
Und später, 1953, wurde in England die Struktur der DANN, die Doppelhelix entdeckt. Friedrich Miescher starb am 26. August 1895 im Alter von 51 Jahren in Davos. Lange Zeit wurde er vergessen. Erst als die DNA als Erbsubstanz berühmt wurde, erinnerte man sich an ihren Entdecker.