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Vor 175 Jahren gestorben
Geheimnisvoller Clemens Brentano

Clemens Brentano war der Schöpfer von Lyrik, die zum Inbegriff der Romantik wurde. Doch den ersten Chronisten der Loreley-Sage plagten auch die Sprunghaftigkeit und Zerrissenheit seines Wesens. Welches Geheimnis verbarg sich hinter dem Dichter, der vor 175 Jahren starb?

Von Christian Linder |
    Der Schriftsteller Clemens Brentano mit einem aufgeschlagenen Buch in einem zeitgenössischen Stich. Er wurde am 8. September 1778 in Ehrenbreitstein bei Koblenz geboren und starb am 28. Juli 1842 in Aschaffenburg. Brentano gilt als einer der bedeutendsten Dichter und Erzähler der Hochromantik. Mit Achim von Arnim gab er die Volksliedersammlung "Des Knaben Wunderhorn" heraus sowie zahlreiche Märchen ("Rheinmärchen", "Italienische Märchen"). | Verwendung weltweit
    Der Schriftsteller Clemens Brentano gilt als einer der bedeutendsten Dichter und Erzähler der Hochromantik. (dpa)
    Der Ruhm des Namens strahlt bis heute: Clemens Brentano. Aber welches Geheimnis seiner Person verbarg sich hinter diesem Ruhm als romantischstem von allen romantischen deutschen Dichtern? In seinem 1801 erschienenen Roman "Godwi" hat Brentano einen entscheidenden Hinweis auf sein Lebensthema gegeben. Nach einer Reise durchs Rheintal mit einem langen Aufenthalt im Siebengebirge notierte er:
    "Ich saß höher, als der höchste Berg der Gegend, auf der Spitze eines jungen Baumes, den eine mutige Hand in die höchsten Trümmer eines zerstörten Turmes gepflanzt hatte. Ich hatte ein trauriges Herz voll verschmähter Liebe da hinaufgetragen, so recht gar nichts da oben erwartet. Aber der Mensch ist so enge in sich selbst gefangen, dass er sich meistens selbst verzehrt, wo er die Welt verzehren sollte."
    Das verführerische junge Mädchen hieß Lore Lay
    Das Rheintal war Heimatland. Geboren 1778 in Ehrenbreitstein bei Koblenz als Sohn eines reichen, aus Italien eingewanderten Kaufmanns, wuchs der Junge später zwar großenteils in Frankfurt auf, aber das Rheintal blieb sein Revier.
    "Zu Bacharach am Rheine / Wohnt eine Zauberin, / Die war so schön und feine / und riss viel Herzen hin / Und machte viel zuschanden/ der Männer rings umher /Aus ihren Liebesbanden / War keine Rettung mehr."
    Das verführerische junge Mädchen hieß Lore Lay. Auch wenn ihr Name und ihre Geschichte später erst durch Heinrich Heines Gedicht weltberühmt wurden – der erste Chronist der Sage war Clemens Brentano. Solche alten Geistesschätze zu sammeln war eine Leidenschaft, die ihn mit seinem romantischen Schriftsteller-Kollegen Achim von Arnim verband, mit dem zusammen er die Liedersammlung "Des Knaben Wunderhorn" herausgab. Ein bei allen Gemeinsamkeiten auch sehr unterschiedliches Paar, wie als Augenzeuge Joseph von Eichendorff bemerkte:
    "Während Arnims Wesen etwas wohltuend Beschwichtigendes hatte (und er) im vollsten Sinne des Wortes wie ein Dichter (erschien), (war) Brentano selbst wie ein Gedicht, das nach Art der Volkslieder unbeschreiblich rührend, plötzlich und ohne sichtbaren Übergang in sein Gegenteil umschlug und sich in ständig überraschenden Sprüngen bewegte."
    Seine letzten Jahre verbrachte Brentano an der Seite einer Nonne
    Die Besonderheit seiner Person war schon Goethes Mutter aufgefallen, zu der der junge Brentano in seiner Frankfurter Zeit gern hinlief und die ihm prophezeite:
    "Dein Reich ist in den Wolken und nicht von der Erde, und so oft es sich mit derselben berührt, wird es Tränen geben."
    "Ich sing' und kann nicht weinen", antwortete Brentano später in einem seiner berühmtesten, zuletzt von Arvo Pärt vertonten Gedichte, "Der Spinnerin Nachtlied". Als "größter Dichter des Augenblicks", wie Brentano sich selbst bezeichnete, begriff er, dass er die "heilige Geschichte seines Inneren", die er abbilden wollte, nur als Aneinanderreihung von Augenblicken schreiben konnte. Aber die Sehnsucht, durch Gestaltung von Augenblicken der Ruhe und Stille schließlich doch ein Gefühl auch für Kontinuität zu gewinnen, und die Sprunghaftigkeit und Zerrissenheit seines Wesens überwinden zu können, blieb unerfüllt – auch im Leben.
    "Ich spreche manchmal bitter gegen das Leben, weil es mich betrübt. Dann überlasse ich wieder die Worte ihrer inneren lebendigen Schönheit und die Rede wirtschaftet auf ihre eigene Art munter drauf los, während meine Seele in der Angst und Trauer und Sehnsucht liegt."
    Am Ende verwarf der radikalste Artist unter den Romantikern sein Schreiben als Geste ins Leere hinein, stellte seine Produktion ein und konvertierte zum Katholizismus. Seine letzten fünf Lebensjahre verbrachte Clemens Brentano in Dülmen in Westfalen an der Seite der Nonne Anna Katharina Emmerick, die die Wundmahle von Jesus Christus zu spüren meinte und von Schmerzen geplagt ihr Bett nicht verlassen konnte. Aus dem romantischen Schriftsteller mit dem ursprünglichen Wunsch, sein Leben als Kunstwerk zu gestalten, war der Chronist der düsteren Visionen dieser Nonne geworden. Erst als er selbst einen wachsenden Kräfteverfall spürte, verließ er Dülmen und suchte Erholung bei Verwandten in Aschaffenburg. Dort ist er am 28. Juli 1842 im Alter von 63 Jahren gestorben und zwei Tage darauf auf dem Altstadtfriedhof beigesetzt worden.