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Vor 190 Jahren wurde der Deutsche Bund gegründet

Am 8. Juni 1815 ging es in der Hauptstadt der österreichischen Monarchie feierlich zu: Nach fast neunmonatigen Beratungen endete der Wiener Kongress, auf dem die Mächte Europas nach den verheerenden napoleonischen Kriegen händeringend nach einer neuen Friedensordnung suchten. Aus den vielen kleinen und großen Einzelstaaten, die man als deutsche Nation bezeichnete, wurde der Deutsche Bund.

Von Tillmann Bendikowski |
    Nicht nur Menschen, auch historische Ereignisse genießen zuweilen einen schlechten Ruf. Dazu zählt ohne Frage die Gründung des Deutschen Bundes im Jahre 1815. Zu Recht?

    An diesem 8. Juni 1815 ging es feierlich zu in der Hauptstadt der österreichischen Monarchie: Nach fast neunmonatigen Beratungen endete der Wiener Kongress, jene Mammut-Konferenz, auf der die Mächte Europas nach den verheerenden napoleonischen Kriegen händeringend nach einer neuen Friedensordnung suchten. Zugleich mussten sie sich Gedanken darüber machen, was aus den vielen kleinen und großen Einzelstaaten werden sollte, die man als deutsche Nation bezeichnete. Ihre Zukunft wurde jetzt in der so genannten Bundesakte festgelegt:

    "Die souveränen Fürsten und freien Städte Deutschlands, mit Einschluss des Kaisers von Österreich und der Könige von Preußen, von Dänemark und der Niederlande; und zwar der Kaiser von Österreich, der König von Preußen, beide für ihre gesamten vormals zum Deutschen Reiche gehörigen Besitzungen; der König von Dänemark für Holstein, der König der Niederlande für das Großherzogtum Luxemburg, vereinigen sich zu einem beständigen Bunde, welcher der Deutsche Bund heißen soll."

    Doch dieser Bund sollte ganz bewusst nicht das sein, was man sich heute unter einer handlungsfähigen Föderation vorstellt. Es war ein loser Zusammenschluss von zunächst 35 Staaten und vier freien Reichsstädten, ohne Oberhaupt, ohne Exekutive oder zentrale Justiz, mit nur einem einzigen Organ: der Bundesversammlung mit Sitz in Frankfurt am Main. Diese Struktur zeigt, dass in erster Linie nicht der innere Zusammenhalt, sondern die äußere Stabilität Ziel dieses Bundes sein sollte:

    "Alle Mitglieder des Bundes versprechen, sowohl ganz Deutschland als jeden einzelnen Bundesstaat gegen jeden Angriff in Schutz zu nehmen, und garantieren sich gegenseitig ihre sämtlichen unter dem Bunde begriffenen Besitzungen."

    Mehr als dieses Verteidigungsbündnis wollten man den Deutschen nicht zugestehen. Viele europäische Staaten lehnten ein mächtiges deutsches Staatsoberhaupt ab, und dem kurz zuvor untergegangenen "Heiligen Römischen Reich deutscher Nation" weinten sie keine Träne nach. Und so wirkte die Regelung auf viele Beobachter nicht nur wie eine Kampfansage an den deutschen Nationalismus – sie war auch so gemeint. Noch 60 Jahre später konnte sich der Historiker Heinrich von Treitschke über die Bundesakte erregen:

    "Die unwürdigste Verfassung, welche je einem großen Kulturvolke von eingeborenen Herrschern auferlegt ward, ein Werk, in mancher Hinsicht noch kläglicher als das Gebäude des alten Reichs in den Jahrhunderten des Niedergangs. Ihr fehlte jene Majestät der historischen Größe, die das Reich der Ottonen noch im Verfalle umschwebte."

    Schon 1815 war bei vielen Deutschen die Enttäuschung groß. Gerade jene, die doch im gemeinsamen – und erfolgreichen – Kampf gegen Napoleon geradezu die Geburtsstunde des geeinten Deutschland gesehen hatten, kommentierten knapp:

    "Die Nation ist betrogen!"

    Und der weit beachtete Publizist Joseph Görres spottete über die in Wien beschlossene deutsche Nachkriegsordnung:

    "Eine jämmerliche, unförmliche, missgeborene, ungestaltete Verfassung, vielköpfig wie ein indisches Götzenbild, ohne Kraft, ohne Einheit und Zusammenhang."

    Aus diesem Gefühl der Enttäuschung speiste sich zunächst das kritische Urteil über den Deutschen Bund. Doch entscheidend für das negative Urteil der Nachwelt waren die innenpolitischen Realitäten, die sich in der Folgezeit einstellten: Der Bund wurde unter maßgeblicher Führung des österreichischen Staatskanzlers Metternich zu einem Instrument der Reaktion, ein repressiver Polizeistaat, der nationale und liberale Strömungen unnachgiebig verfolgte – die Karlsbader Beschlüsse des Jahres 1819 stehen bis heute dafür. Darüber vergessen wurde später die erfolgreiche außenpolitische Bilanz des Bundes: Er erwies sich bis in die 1860er Jahre in mehreren großen europäischen Krisen vor allem durch seine Neutralität als friedensbewahrende Kraft. Überdies bändigte er die Rivalität der beiden deutschen Großmächte Preußen und Österreich und bewahrte die Unabhängigkeit der kleinen deutschen Staaten. Rückblickend mag deshalb mancher die wenigen deutschen Stimmen teilen, die sich 1815 ebenfalls gegen ein neues deutsches Kaisertum ausgesprochen hatten. Etwa der Göttinger Historiker Arnold Hermann Ludwig Heeren, damals der bekannteste deutsche Geschichtsforscher:

    "Wer die Geschichte kennt, wird es nicht bezweifeln: Die Entstehung einer einzigen und unumschränkten Monarchie in Deutschland würde binnen kurzem das Grab der Freiheit von Europa."

    Deutschland hatte 1815 keine Monarchie erhalten. Aber der Deutsche Bund sicherte der Mitte Europas für zwei Generationen eine friedlich Existenz. So gesehen, war der Deutsche Bund tatsächlich viel besser als sein Ruf – auch wenn dies ins Gedächtnis der Deutschen nie so recht vorgedrungen ist.