Nachdem er endlich gefasst war, erschienen Fotos von ihm in der deutschen Klatschpresse, auf denen er kaum wiederzuerkennen war: ein alter Mann mit müden Augen, weißem Haar und Halbglatze, die Haut dunkelbraun gegerbt von der Sonne Floridas. Die Polizei in Miami, fotografierte ihn mit einem Plastikschild in der Hand.
"Utz Jürgen Schneider. Geboren: 30. April 1934, Tag der Verhaftung: 18. Mai 1995."
Bevor er im Frühjahr zuvor mit seiner Frau Claudia untergetaucht war, hatte er sich 245 Millionen Mark auf ein Schweizer Konto überwiesen. Bis zum Tag seiner Auslieferung nach Frankfurt, dem 23. Februar 1996, saß Schneider in Amerika im Gefängnis.
"Sie mochten ihn alle."
Das schrieb das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" später über Jürgen Schneider.
"Ein Mann mit sonorer Stimme, freundlich, aber bestimmt, nur gelegentlich herrisch, eine akkurate Erscheinung."
Und er selbst sagte, vom Fernsehsender Spiegel-TV Anfang der 90er-Jahre nach seinen Vorstellungen von der Zukunft befragt:
"Dass mir der Herrgott noch viele Jahre gibt, meine Arbeit zu tun. Und dabei jeden Tag was dazuzulernen."
Optisches Markenzeichen: Toupet
Als er noch der Milliarden-Investor in Leipzig war, ließ er sich am liebsten, vor seinen Leipziger Investitions-Objekten fotografieren: vor der Mädler-Passage, einer historischen Shopping-Mall mit Wurzeln im 16. Jahrhundert. Oder vor der barocken Fassade von "Barthels Hof", einem Vorläufer des Leipziger Messegeländes aus dem 18. Jahrhundert. Sein optisches Markenzeichen: ein dunkles, leicht erkennbares Toupet. Der Architekt Niels Gormsen war in den 90er-Jahren Stadtbaurat in Leipzig. Schon beim ersten Treffen kurz nach der Wiedervereinigung war er von Jürgen Schneiders Auftritt fasziniert.
"Ich erinnere mich noch sehr gut, dass das im heutigen Hotel Fürstenhof stattfand. Und wir hatten einen Termin mit einer Dame, die das Hotel, wie mir schien, erworben hatte, aber statt der Dame kam ein Herr mit Toupet und stellte sich als Jürgen Schneider vor."
Jürgen Schneiders suggestive Kraft wirkte bei Politikern, Bankern und privaten Investoren gleichermaßen. Denn auch die verloren, weil sie an Jürgen Schneider geglaubt hatten, große Summen - unter ihnen Klaus Jürgen Böhm, Rechtsanwalt und Steuerberater aus Frankfurt.
"Dr. Schneider ist ein, ich habe ihn ja nun persönlich kennengelernt, ein sehr fähiger Mann, ein sehr brutaler Mann, aber ein Mann, der sehr viel Charme hat, sehr viel Ausstrahlung hat, und deswegen auch so erfolgreich ist, indem er wirklich Leute überzeugen kann."
Alle glaubten ihm
Seine Methode war simpel: Er wertete Bauvorhaben auf, bevor der erste Stein gelegt war, fantasierte von Millioneneinnahmen an Mieten, erfand Geschosse und Nutzflächen, die es nicht gab und belieh Immobilien mehrfach über Wert. Alle glaubten ihm, auch, weil er sich als feinsinniger Architektur-Mäzen gab, als Künstler, dem es nicht ums Geld ging, sondern um die Sache. Um archäologische Grabungen zu ermöglichen, unterbrach er schon mal ein Bauvorhaben - und machte eine Show daraus. Der Leipziger Touristenführer Thorsten Plathe erinnert sich.
"Schneider hat diese Ausgrabungen mitfinanziert. Und hat bewusst seine Baustelle über Monate still gelegt, hat dann auch am Tag des Offenen Denkmals die Führungen über diese Ausgrabung finanziert, auf der Seite hat er natürlich auch ein sehr, sehr positives Feedback von den entsprechenden staatlichen Behörden gehabt, natürlich aber auch von der Öffentlichkeit, die es genial fand, dass hier nicht einfach der Bagger durchgesaust ist, sondern das ist wirklich alles akribisch geborgen worden."
Und dass es bis heute Führungen zu Schneiders größten Bausünden gibt, hat seinen Grund. Manchem in Leipzig gilt er als Held, der der Stadt mehr genutzt hat als geschadet. Sein Fall begann mit einem Zeitungsartikel im Februar 1994, der von horrenden Mietkosten der Schneider-Immobilien berichtete. Immer mehr falsche Zahlen kamen ans Licht, Anfang April 1994 erfuhr die Deutsche Bank von der drohenden Pleite - Schneider tauchte ab. Seine Schulden beliefen sich insgesamt auf 6,7 Milliarden Mark. Allein bei der Deutschen Bank waren es 1,2 Milliarden. Als deren Vorstandschef Hilmar Kopper guten Willen zeigen wollte, indem er zusagte, die ausstehenden Handwerkerrechnungen zu übernehmen, sorgte er für den nächsten Skandal.
"Es handelt sich auch nicht um viel Geld. Wir schätzen, dass ein Betrag dabei zur Debatte steht, der ganz deutlich unter 50 Millionen Mark liegt. Wir reden hier eigentlich von Peanuts."
Schneider saß bis 1999 in Haft
Peanuts wurde zum Unwort des Jahres 1994. Der Unmut der Öffentlichkeit richtete sich nun gegen die Banken, die einem Hochstapler mit falschen Haaren Milliarden ohne Gegenleistung gegeben hatten. Jürgen Schneider saß bis 1999 in Haft. 2010 musste er wieder vor Gericht, wegen Betrugs. Vier Jahre später wurde das Verfahren eingestellt: wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten.