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Vor 20 Jahren
Vom Reichstagsgebäude zum Bundestag

Einst „Reichsaffenhaus", heute der "schönste Bau Berlins": Das Berliner Reichstagsgebäude wurde von Kaiser Wilhelm II. geschmäht, dann wurde es zum Zentrum der ersten deutschen Republik und verfiel während der deutschen Teilung. Seit 20 Jahren ist es - glanzvoll restauriert - wieder Regierungssitz.

Von Regina Kusch |
    Reichstag, Berlin, Deutschland, Europa.
    Ein besonders symbolträchtiger Ort der politisch-parlamentarischen Geschichte Deutschlands: das Reichstagsgebäude in Berlin (picture alliance / Norbert Michalke)
    "Heute, am 19. April 1999, ist es soweit. Berlin ist von nun an die politische Metropole Deutschlands, das umgebaute Reichstagsgebäude ist ab heute Sitz des deutschen Bundestages."
    In einem Festakt nahm Bundestagspräsident Wolfgang Thierse aus den Händen des Architekten Norman Foster den großen symbolischen Schlüssel entgegen.
    "Wir kehren zurück an einen besonders symbolträchtigen Ort der politisch-parlamentarischen Geschichte Deutschlands. ‚Dem Deutschen Volke‘ - diese Giebelinschrift gilt nun wieder als Verpflichtung für die Parlamentarier des Deutschen Bundestages."
    "Schwatzbude" und Symbol einer jungen Demokratie
    Symbolträchtig war der monumentale Bau im Stil der Neorenaissance am Ufer der Spree bereits vor seiner Fertigstellung 1894. Für die deutschen Kaiser symbolisierte er vor allem Machtverlust. Wilhelm I. ließ die Entwürfe des Architekten Paul Wallot mehrmals umarbeiten, um zu verhindern, dass das neue Parlamentsgebäude höher würde als die Kuppel seines Berliner Stadtschlosses, einem Wahrzeichen der preußischen Monarchie. Wilhelm II. diffamierte das festungsähnliche Haus mit seinen Ecktürmen und der damals hochmodernen Kuppel aus Stahl und Glas als "Gipfel der Geschmacklosigkeit" und "parlamentarische Schwatzbude".
    Bismarckdenkmal vor dem Reichstag, Berlin, Deutschland, ca. 1899.
    Der Reichstag durfte nicht höher sein als das Stadtschloss Wilhelm I. - so wollte es der Kaiser (picture alliance / Imagebroker)
    Nach der Abdankung des Kaisers 1918 wurde der Reichstag zum Symbol einer jungen Demokratie, als der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vom Westbalkon die erste Republik ausrief. Der Brand des Reichstagsgebäudes 1933 stand für den Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft. Zum Kriegsende wurde es von russischen Soldaten besetzt, die am Stahlgerippe der zerschossenen Kuppel die rote Fahne hissten, als Symbol der Sieger.
    "Nach dem Kriege hat man gemeint, die Kuppel könnte wegbleiben, sie ist auch gesprengt worden, obwohl sie hätte restauriert werden können."
    So der Bauhistoriker Michael Cullen.
    "Es gab viele Bemühungen, das Haus abzureißen. Aber es gab einige Leute, inklusive Willy Brandt und Ernst Reuter, die meinten, nein, wir reißen das Haus nicht ab."
    Im Dornröschenschlaf
    Der Amerikaner Michael Cullen kam 1962 als Student nach West-Berlin und war sofort fasziniert von dem bedeutungslos gewordenen Denkmal direkt an der Mauer - damals vor allem ein Symbol der deutschen Teilung. Michael S. Cullen:
    "Man hatte beschlossen, wir werden das als eine Art von Dependance für den Bundestag benutzen. Mir war das zu wenig, dass das Haus gewissermaßen fertig wird und dann in einen Dornröschenschlaf kommt."
    Erst Christo, dann Foster
    Deshalb schickte er 1971 eine Postkarte an das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude mit dem Vorschlag, den Reichstag zu verhüllen. Mehr als 20 Jahre wurde diese Idee heftig diskutiert und erst nachdem der Regierungsumzug feststand, wurde das Gebäude 1995 den Verpackungskünstlern überlassen, bevor es erneut umgebaut werden sollte. Der britische Architekt Norman Foster, der 1993 schließlich die Ausschreibung gewonnen hatte, plante eine Mischung aus alt und modern. Er wollte soviel Geschichte wie möglich sichtbar lassen, beispielsweise die über 200 Graffiti der russischen Soldaten an den Innenwänden. Michael S. Cullen:
    "Sie waren nur zugedeckt. Viele Jahre lang bis zum Umbau von Foster waren sie hinter Rigipsplatten. Der Forster war selber begeistert davon, und sagte, das muss ja bleiben. Es gab dann sehr viel Streit, besonders auf der rechten Seite des politischen Spektrums, weil man meinte, das ist beleidigend. Aber das waren Soldaten, die hatten ja alle überlebt."
    Erleuchtet - und von der Last der Geschichte befreit
    Die meisten kyrillischen Inschriften wurden gereinigt und sind heute für die Öffentlichkeit zugänglich. Herzstück des komplett entkernten Gebäudes wurde der 1.200 Quadratmeter große, verglaste Plenarsaal im ersten Stock, direkt unter der begehbaren, 23 Meter hohen Kuppel, von der aus die Besucher den Politikern bei ihren Debatten zusehen können. Foster wollte so Transparenz in den geschichtsträchtigen Bau bringen.
    "Die Kuppel steht für den Wandel. Sie ist als Aussichtsplattform öffentlich zugänglich über eine Rampe, die sich um einen Kegel nach oben windet. Dieser Kegel ist verspiegelt und wirft so das Tageslicht tief in das Gebäude hinein. Das Haus wird also buchstäblich erleuchtet und von der Last der Geschichte befreit."
    Die Kuppel ist zum neuen Wahrzeichen Berlins und der umgebaute Reichstag nun zum Symbol für ein wiedervereintes und demokratisches Deutschland geworden.