"Monsieur Puschkin für einige Zeit aus St. Petersburg entfernt, könnte ein ausgezeichneter Diener seiner Regierung werden oder zumindest ein Schriftsteller ersten Ranges." Das schrieb im Frühling 1820 der Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, Ioannis Graf Kapodistrias, über die Strafversetzung des jungen Adeligen Alexander Puschkin. Der ebenso aufmüpfige wie talentierte Poet hatte sich durch ungebührliches Benehmen und einige kritische Verse, die landauf landab bekannt wurden, beim Zarenhof unbeliebt gemacht.
Devianter Hoffnungsträger der russischen Literatur
Jedoch wurde er auch, mit kaum zwanzig Jahren, als Hoffnung für die russische Literatur gefeiert, wie sein Biograf Rolf-Dietrich Keil 1999 in einem Radiobeitrag erklärte:
"Mit vierzehn Jahren wurde sein erstes Gedicht noch anonym gedruckt, mit fünfzehn bereits mit vollem Namen, und er war bereits anerkannt als Dichter, nicht nur unter seinen Klassenkameraden, sondern auch von den damals führenden Literaten - von Shukowski, der damals als größter moderner, nämlich romantischer Dichter Russlands galt, und von dem Sänger Katharinas, dem greisen Dershawin. Der soll geäußert haben: Der wird mein Nachfolger! Da war Puschkin nicht ganz sechzehn."
Wie viele gebildete Russen seiner Generation war der Dichter enttäuscht über den Zaren Alexander I., dessen Reformeifer bald erlosch und der statt dessen eine antiliberale Politik mit Zensur und Geheimpolizei verfolgte.
"Gefährliches System der Menschenrechte"
Puschkin provozierte mit Gedichten wie der "Ode an die Freiheit", über die Kapodistrias schrieb, "inmitten größter Schönheiten der Erfindungen und des Stils zeigt dieses Stück gefährliche Grundsätze, die der Schule der Zeit entstammen oder, besser gesagt, jenem System der Anarchie, das Böswillige das System der Menschenrechte, der Freiheit und Unabhängigkeit der Völker nennen."
Dazu Rolf-Dietrich Keil: "Er war ein Wahrheitsfanatiker und ein Freiheitsfanatiker, ganz sicher." Um einer Hausdurchsuchung zuvorzukommen, verbrannte Puschkin kompromittierende Verse, schrieb sie dann jedoch - ebenso Spielernatur wie von ritterlicher Gesinnung - für den Untersuchungsrichter aus dem Gedächtnis wieder auf.
Hauptsache keine Verbannung nach Sibirien
Mit der Strafversetzung nach Bessarabien an die Südgrenze des Russischen Reichs kam er noch einmal glimpflich davon, so Rolf-Dietrich Keil:
"Alle haben sich bei Alexander I. dafür eingesetzt, dass er nicht nach Sibirien und nicht ans Weiße Meer auf die Solowkiinseln verschickt wurde, und daraufhin hat Alexander I. schließlich gesagt: Na gut, also dann soll er versetzt werden, aber aus der Hauptstadt muss er verschwinden."
Bevor Puschkin seinen Bestimmungsort in Bessarabien erreichte, erkrankte er nach einem Bad im eiskalten Dnjepr und wurde daraufhin von General Rajewski, einem Veteranen der napoleonischen Kriege, und dessen Familie zu den Heilquellen des nördlichen Kaukasus mitgenommen. In einem Brief schrieb er enthusiastisch:
"Das kaukasische Land, diese glühend heiße Grenze Asiens, ist in jeder Beziehung interessant. Ich sah die Ufer des Kubanj und die Wachtsiedlungen und bewunderte unsere Kosaken, immer zu Pferde, immer bereit, sich zu schlagen, immer auf dem Posten."
Der "Eugen Onegin" - eine Geburt der Verbannung?
Nach der sehr glücklichen Zeit im Kreise der Familie Rajewski im Kaukasus und auf der Krim erreichte der Dichter am 21. September 1820 schließlich den eigentlichen Ort seiner Versetzung, Kisinau in Bessarabien, das erst seit acht Jahren zum russischen Reich gehörte.
"Jetzt bin ich allein in der für mich öden Moldau", schrieb er an seinen Bruder. Knapp drei Jahre blieb er in der Provinz unter der Aufsicht seines gutmütigen Vorgesetzten General Insow, der ihm viele Freiheiten ließ. In dieser Zeit schrieb Puschkin romantische Poeme wie "Der Gefangene im Kaukasus", vor allem aber begann er sein lyrisches Hauptwerk, wie er am 1. Dezember 1823 seinen Freund Alexander Turgenjew wissen ließ.
"In meiner freien Zeit schreibe ich ein neues Poem, Jewgeni Onegin, in dem ich meine Galle überlaufen lasse. Zwei Gesänge sind schon fertig."