Großherzog Karl von Baden war nicht zu beneiden. Der kranke und unglückliche Monarch regierte einen aus zahlreichen Herrschaften geformten Kunststaat von Kaiser Napoleons Gnaden, der den Wiener Kongress 1815 nur dank der Protektion durch Zar Alexander von Russland ungeschmälert überstanden hatte. Doch den Rat seines Schwagers in Petersburg, den von inneren und äußeren Gegnern angefeindeten jungen badischen Staat durch den Erlass einer ständischen Verfassung zu festigen, mochte Karl zunächst nicht befolgen.
Kein dynamischer Modernisierer
Großherzog Karl war kein dynamischer Modernisierer. Der Historiker Heinrich von Treitschke beschrieb seinen Regierungsstil so:
"Ganze Zimmer seines Schlosses lagen angefüllt mit Akten, Briefen, Zusendungen aller Art, die er weder selbst erledigen, noch irgendjemandem anvertrauen wollte. So lebte der arme Kranke dahin, freudlos, verschlossen, unergründlich, immer mit seinen schönen Augen um sich spähend, wer ihn wohl betrügen wolle."
Seinen größten Feind sah Großherzog Karl im König von Bayern, dem er vom Giftmord bis zum militärischen Handstreich alles zutraute, um die rechtsrheinische Kurpfalz um Mannheim und Heidelberg zurückzugewinnen. Im April 1818 wurde bekannt, dass der Erlass einer bayrischen Verfassung unmittelbar bevorstand. Nun konnte auch der Großherzog die Zeichen der Zeit nicht länger ignorieren: Um seinem bayrischen Rivalen keinen moralischen Vorteil im Kampf um die öffentliche Meinung zu überlassen, beauftragte er am 26. April 1818 seinen Finanzrat Friedrich Karl Nebenius, rasch eine Verfassung auf der Grundlage eines Zweikammersystems zur Repräsentation von Adel und Volk auszuarbeiten. Am 22. August unterzeichnete Karl die Verfassung:
"Von dem aufrichtigsten Wunsche durchdrungen, die Bande des Vertrauens zwischen Uns und unserm Volke immer fester zu knüpfen, haben Wir nachstehende Verfassungsurkunde gegeben, und versprechen feierlich für Uns und Unsre Nachfolger, sie treulich und gewissenhaft zu halten und halten zu lassen."
Baden wurde unwiderruflich zum Verfassungsstaat
Damit war Baden unwiderruflich zum Verfassungsstaat geworden. Persönliche Grundrechte und Rechtsgleichheit waren garantiert, das Parlament wirkte an der Gesetzgebung mit, neue Steuern und Schulden bedurften seiner Zustimmung. Die Konstitution war insgesamt moderner als die Verfassungen Bayerns, Württembergs, Nassaus oder Sachsen-Weimar-Eisenachs: Die badische Zweite Kammer war eine reine Volkskammer, alle steuerpflichtigen Bürger über 25 Jahre hatten das aktive und gleiche Stimmrecht.
Niemand nahm Anstoß daran, dass Frauen, Juden und das Gesinde von der politischen Mitwirkung ausgeschlossen waren. Der liberale Freiburger Staatsrechtslehrer Carl von Rotteck feierte die Verfassung geradezu überschwänglich:
"Wir waren Baden-Badener, Durlacher, Breisgauer, Pfälzer: Ein Volk von Baden waren wir nicht. Fortan aber sind wir ein Volk (…). Jetzt treten wir in die Geschichte mit eigener Rolle ein."
Ein ausgesprochen selbstbewusstes Parlament
Seit seinem ersten Zusammentreten im April 1819 zeigte sich das badische Parlament ausgesprochen selbstbewusst. Es unterbreitete der monarchischen Regierung eine Fülle von Gesetzgebungsvorschlägen. Auch schreckte es nicht davor zurück, in den Militärhaushalt oder die Apanagen des Herrscherhauses einzugreifen. Großherzog Ludwig I., der Karl im Dezember 1818 auf dem Thron nachfolgte, liebäugelte mehr als einmal mit einem Staatstreich, sodass sich die preußische Regierung 1822 veranlasst sah, von reaktionären Experimenten abzuraten:
"Verfassungsänderungen können nur das Werk der Zeit sein. Bis dahin befindet sich die Regierung in der Notwendigkeit, das sich selbst auferlegte Joch mit resignierter Würde und dem Scheine nach freiwillig zu tragen."
Parlamentarier waren beliebter als die Großherzöge
Die Verfassung blieb in Kraft, zehn Jahre nach ihrer Verkündigung wurden mancherorts bereits Jubiläumsfeiern veranstaltet. Der badische Verfassungspatriotismus tat mehr für die Integration des Landes als die monarchische Verwaltung: Parlamentarier wie Adam von Itzstein oder Friedrich Daniel Bassermann waren weitaus populärer als die Großherzöge. Gegen reaktionäre Tendenzen und Pressezensur berief sich 1847 sogar die radikale Linke auf die badische Verfassung von 1818.