Am heutige Tage ist ein Hochamt der Literatur, denn er ist der 200. Geburtstag des großen amerikanischen Schriftstellers Herman Melville. Am vergangenen Sonntag wurde im Deutschlandfunk-"Büchermarkt" bereits eine Sammlung von Gedichten, Artikeln und Vorträgen betrachtet, die unter dem Titel "Die große Kunst, die Wahrheit zu sagen" gerade neu aufgelegt wurde vom Salzburger Verlag Jung und Jung. Melville wird hier unter anderem zitiert mit diesen bemerkenswerten Worten:
"Es ist besser, in Originalität zu scheitern, als in der Nachahmung erfolgreich zu sein. Der Mann, der niemals irgendwo gescheitert ist, kann nicht groß werden. Scheitern ist der wahre Prüfstein für Größe. Wenn man sagt, dass anhaltender Erfolg der Beweis dafür ist, dass ein Mann seine Kräfte klug einzuschätzen weiß, sollte man nur noch hinzufügen, dass er weiß, sie sind klein. Lasst uns also glauben, ein für allemal, dass es bei jenen glatten gefälligen Autoren, die ihre Kräfte kennen, keine Hoffnung für uns gibt."
Das schrieb der amerikanische Schriftsteller Herman Melville in einer Lobeshymne auf seinen Kollegen Nathaniel Hawthorne – und diese Zeilen klingen schon wie eine Poetik in nuce. Ob diese Vermutung stimmt, diskutiere ich mit einem der herausgehobenen Kenner Hermann Melvilles, mit dem Übersetzer Friedhelm Rathjen.
Seine Karriere war zu Ende
Friedhelm Rathjen wurden für ihr übersetzerisches Gesamtwerk im Jahr 2013 mit dem Paul Celan Preis ausgezeichnet. Anderthalb Jahrzehnte zuvor hat er eine medial breit diskutierte Übersetzung von Herman Melvilles "Moby-Dick" veröffentlicht. Als der Roman 1851 parallel in London und in New York erschien, ging er rasch unter wie das Schiff Kapitän Ahabs. "Moby-Dick" war ein Flop. Rathjen erinnert sich an Melville:
"Das Kuriose und auch Traurige ist: Er war ein Erfolgsschriftsteller, bis er dieses Buch schrieb, und mit dem Buch war er seinerzeit so vollständig voraus, dass die Leute ihn für verrückt erklärten, weil dieser Roman eigentlich nichts von den geschriebenen oder ungeschriebenen Gesetzen des Romans jener Zeit einhielt. Es war für die Leute ein völlig chaotisches Durcheinander. Man wusste nicht recht: Was wollte er eigentlich damit, und damit war seine Karriere zu Ende."
Es waren turbulente Jahre
"Nennt mich Ishmael" – so beginnt nicht nur Melvilles Moby Dick, so lautet auch der Titel jener "sieben Aufsätze und Miszellen zu Leben und Werk von Herman Melville"; die Friedhelm Rathjen, in diesem Jahr veröffentlicht haben. Dort erfährt man unter anderem, dass 1891, als Melville stirbt, er so vergessen ist, dass die New York Times ihm nur einen Vier-Zeilen-Nachruf widmet. Dabei wäre Zahlreiches zu berichten über das Leben dieses großen Künstlers. Aus einem breiten Erfahrungsschatz speisen sich Melvilles Geschichten."
Rathjen: "Zu Allererst sind das natürlich die mehr oder weniger berühmten Seegeschichten mit dem ‚Moby-Dick’ an der Spitze. Melville ist als Zwanzigjähriger zur See gegangen, hat ziemlich viel erlebt in fünf sehr turbulenten Jahren, ist auf einem Kriegsschiff gefahren, auf mehreren Walfängern natürlich, ist desertiert in der Südsee von mindestens einem Schiff. Er ist irgendwann am Ende dieser fünf Jahre wieder nach Amerika zurückgekommen, in die USA. Er war da Mitte 20 und hat seinen Weg zurückgefunden in die sogenannte Zivilisation, aber ich denke, mit seinem Erfahrungsschatz dieser fünf Jahre muss ihm das alles sehr merkwürdig vorgekommen sein."
Erzählungen aus der schlimmsten Zeit
Melville hat damals versucht, diese wilde, unbekannte Welt, die er mit jugendlichem Elan aufgesogen hatte, jenen zu vermitteln, die zur sogenannten "besseren Gesellschaft" dieser Zeit gehörten. Die wusste nichts über den Walfang, obwohl der Walfang damals in ökonomischer Hinsicht genauso wichtig war wie heutzutage das Öl. Somit hat dieser beeindruckende Schriftsteller bereits auf der Inhaltsebene Pionierarbeit geleistet. Rathjen:
"Er wollte die amerikanische Literatur begründen, und er hat es geschafft. Melville ist nicht in seinem Schreiben gescheitert, sondern eher am Literaturbetrieb. Es gibt die lange, sehr desolate Geschichte der Publikation meiner Übersetzung. Da kann ich nur sagen: in der schlimmsten Zeit, in der ich jahrelang darauf warten musste, dass meine Übersetzung erstens publiziert und zweitens anerkannt wurde, wusste ich immer: dem Originalautor ist es viel schlimmer ergangen."
Herman Melville: "Moby-Dick oder Der Wal", aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Friedhelm Rathjen, Jung und Jung Salzburg, 976 Seiten, 45 Euro
Herman Melville: "Typee", aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Alexander Pechmann, Mare-Verlag Hamburg, 448 Seiten, 38 Euro
Herman Melville: "John Marr und andere Matrosen: Mit einigen Seestücken", aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Alexander Pechmann, Mare-Verlag Hamburg, 144 Seiten, 20 Euro
Herman Melville: "Mardi und eine Reise dorthin", aus dem amerikanischen Englisch von Rainer G. Schmidt, 832 Seiten, 45 Euro
Herman Melville: "Bartleby, der Schreiber", aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Jürgen Krug, mit Illustrationen von Sabine Wilharm, Insel Verlag Frankfurt, 88 Seiten, 14 Euro
Herman Melville: "Die große Kunst, die Wahrheit zu sagen: Von Walen, Dichtern und anderen Herrlichkeiten", Jung und Jung, Salzburg, 184 Seiten, 22 Euro
Friedhelm Rathjen: "Nennt mich Ishmael. Sieben Aufsätze und Miszellen zu Leben und Werk von Herman Melville", Edition ReJoyce, Scheeßel, 124 Seiten, 10 Euro