"Der heilige Damm bezauberte uns gänzlich; er hat das Ansehen eines großen, durch Kunst errichteten Deiches, um die See anzuhalten, die sonst das ganze Land überschwemmen würde."
So schwärmte der irische Schriftsteller Thomas Nugent 1766 auf seiner Reise durch Mecklenburg von der Schönheit dieses von der Ostsee aufgeworfenen Walls.
Zusammenspiel von Waldluft und Reizklima durch Meerwasser
Damals war Baden im Meer in Deutschland noch nicht üblich. Doch Samuel Gottlieb Vogel, Leibarzt des mecklenburgischen Herzogs Friedrich-Franz I. war ein fortschrittlicher Mediziner und riet zum Bau eines Seebads nach englischem Vorbild. Der heilige Damm schien besonders geeignet, denn er lag nur wenige Kilometer von Doberan, der Sommerresidenz des Landesfürsten, entfernt und war gesäumt von einem Buchenwald. Der Kulturhistoriker Wolf Karge:
"Der Vogel hat zu ihm gesagt, das ist sehr gut, wir brauchen einerseits die Waldluft, die wir hier haben, und andererseits das Reizklima durch das Meerwasser. Und dieses Zusammenspiel von Luftkurort und Seewasserbehandlung auch auf der Haut, das ist das, was Vogel entdeckt hat und was sich bis heute erhalten hat als Therapie."
Geld für Bäder nicht ins Ausland tragen
Friedrich Franz I. ließ sich gerne überzeugen. Er wollte einen mondänen Badeort für Adlige aus ganz Europa.
"Besonders, da es mir nicht gleichviel sein kann, manchen kranken Menschen dadurch glücklich zu machen. Nicht zu gedenken, dass das Geld im Lande verzehrt wird, was auswärtige Bäder demselben entziehen."
Die Gäste sollten in Heiligendamm baden und in Doberan logieren, wo sie sich auf Empfängen mit abendlichen Feuerwerken, im Theater oder beim Glücksspiel amüsieren konnten. Mit den Gewinnen aus dem Doberaner Kasino und dem Verkauf von 1000 Soldaten an den König von Oranien finanzierte der Herzog den Bau seines Luxusbades. Am 21. September 1793 öffnete das erste Badehaus, gebaut im Stil eines mecklenburgischen Gutshauses, in dem warme und kalte Bäder verabreicht wurden. Für das Bad im Meer stellte Gottlieb Vogel strenge Baderegeln auf.
Heiligendamm - die "weiße Stadt am Meer"
"Man soll ohne Bekleidung ins Wasser gehen, weil dann die belebende direkte Wirkung des Seewassers auf den Körper am besten ist. Um trotzdem die Schicklichkeit zu wahren, wurden Badekarren entwickelt. Damit war die Außenwelt völlig abgeschottet."
Diese hölzernen Umkleidekabinen auf Rädern, die die Badegäste bekleidet am Strand betraten, wurden von Badewärtern oder Pferden ins Meer gezogen. Über eine Treppe stiegen die Patienten dann unbeobachtet in die Ostsee.
"Dr. Vogel sagte mir, der Reiz des Salzes errege den Körper zu einer tätigen Reaktion gegen die Kälte. Diese Bäder sollen gegen Entnervung, Atonie der Eingeweide, Rheumatismen, Gicht, Ausschläge und so fort mit sehr gutem Fortgang gebraucht werden." Notierte Wilhelm von Humboldt in sein Tagebuch.
Prominente Besucher wie Felix Mendelssohn Bartholdy, Rainer Maria Rilke, Feldmarschall Blücher oder Lord Nelson verhalfen dem Ort schnell zu gutem Renommee. Bis 1816 entstand Deutschlands schönstes und teuerstes Seebad, die 'weiße Stadt am Meer', ein klassizistisch anmutendes Ensemble von 26 weißen Prachtvillen am Strand, aufgereiht wie eine Perlenkette, daneben ein von Säulen gestütztes Kurhaus, dahinter ein burgartiges Gebäude im Tudor-Stil und ein Grand-Hotel.
Kadettenschule unter den Nationalsozialisten
Doch 1873 wurde der komplette Ort zum ersten Mal verkauft. Durch Missmanagement wechselte der exklusive Kurort mehrmals die Besitzer. 1939 beschlagnahmten die Nationalsozialisten Heiligendamm und nutzten es als Kadettenschule.
Nach dem Krieg entkernten die russischen Besatzer das Ensemble und nahmen alle Kunstschätze als Reparationsleistungen mit. Die DDR-Regierung funktionierte das Seebad schließlich zum Kurort für Werktätige mit Haut- oder Atemwegserkrankungen um. Nach der Wende drohte es zu verfallen.
Zielgruppe Schöne und Reiche
"Es gab zwei Möglichkeiten für Heiligendamm. Die eine war, weiterhin als Staatsbad wie in der DDR zu agieren, oder wieder der Rückschritt zur Privatisierung mit der Zielgruppe Schöne und Reiche, das, was es bis 1940 war."
Heiligendamm fand private Investoren, die es luxussanierten. Doch ein lebendiges Seebad ist es auch heute nicht. Es soll das bleiben, als was es einst gebaut wurde, ein Refugium für Besserverdienende.