Am Abend des 26. Januar 1994 lässt der Medienunternehmer Silvio Berlusconi über seine drei privaten Fernsehsender, die landesweit zu empfangen sind, eine Ansprache ausstrahlen: "Ich habe mich entschieden, in den Ring zu steigen und mich den öffentlichen Angelegenheiten zu widmen. Denn ich will nicht in einem unliberalen Land leben, das von unreifen Kräften regiert wird und von Personen, die fest mit einer Vergangenheit gekoppelt sind, die politisch wie ökonomisch gescheitert ist."
Berlusconi signalisiert Aufbruchstimmung
Die Rede schlägt wie eine Bombe ein. Zu diesem Zeitpunkt nähert sich der Wahlkampf für den Urnengang Ende März 1994 langsam der Zielgeraden. Einem relativ kompakten Block der Linksparteien, die sich unter dem Ex-Kommunisten Achille Occhetto in einer "Allianz der Progressiven" versammelt haben, steht bislang nur ein eher schwacher "Pakt für Italien" gegenüber. In dem versuchen versprengte Kräfte der früheren Christdemokraten unter Mario Segni zusammenzuhalten, was gerade in den Finanz- und Korruptionsskandalen ausgehend von den Mailänder Strafprozessen unter dem Schlagwort "Mani pulite - Saubere Hände" zerbrochen ist.
Andere Parteien scheinen an den Rand gedrängt oder wie die Lega Nord allein eine regionale Rolle zu spielen. Plötzlich aber tritt eine dritte Kraft ins Feld: Silvio Berlusconi, einer der reichsten Männer Italiens, mit der gleichsam aus dem Boden gestampften Partei Forza Italia. Sie signalisiert schon im Namen "Vorwärts Italien" Aufbruchsstimmung und Anfeuerung, wie man sie etwa aus Fußballstadien kennt. Mit dieser Forza Italia, die Silvio Berlusconis PR-Fachleute kurz zuvor aufgebaut haben, schließt der Medienunternehmer zwei Wahlbündnisse: im Norden zusammen mit der regional verankerten Lega, im Süden und im Zentrum mit den Ex-Faschisten des Movimento Sociale MSI.
Erfolg mit großangelegter medialer Wahlkampftaktik
"Das politische Klima im Land war alles andere als ruhig. Italien befand sich seit 1992 in einem fiebrigen Zustand, nachdem die Korruptionsprozesse der ‚Mani pulite‘ begonnen hatten", sagt Paolo Mieli, Historiker und Journalist und 1994 Chefredakteur des "Corriere della Sera". Er beobachtete, wie eine beispiellose Wahlkampagne über das verunsicherte Land rollte unter dem totalen Einsatz von Berlusconis Medienimperium und seiner PR-Agenturen. Auf großflächigen Plakaten wurden vollmundige Versprechungen abgegeben: Eine Million neue Arbeitsplätze schaffen, Steuern senken, den Staat reformieren. Fiat-Chef Gianni Agnelli gab seinen Segen: "Wenn er verliert, verliert er. Wenn er gewinnt, gewinnen wir alle."
Mieli: "Alle erwarteten, dass Berlusconi ein gutes Ergebnis erzielen würde. Aber wenige, und auch ich nicht, rechneten damit, dass er gewinnen würde." Aber er gewann. Bei der Wahl am 27. und 28. März 1994 zeigte sich der Erfolg der großangelegten medialen Wahlkampftaktik: Im Abgeordnetenhaus erzielten die beiden politisch rechts orientierten Berlusconi-Bündnisse zusammen 42,8 Prozent der Stimmen und erhielten die absolute Mehrheit der Sitze. Politische Außenseiter wie die Lega oder die Ex-Faschisten wurden regierungsfähig. Dieses Wahlergebnis veränderte Italien.
Berlusconis Erfolg verändert Italien
"Seit seiner Gründung 1861 hatte es in der italienischen Politik nie einen Lagerwechsel durch eine Parlamentswahl gegeben. Das war eine epochale Veränderung: 1994 gewann Berlusconi, 1996 Prodi, 2001 wieder Berlusconi, 2006 wieder Prodi, 2008 erneut Berlusconi", erzählt Mieli. Gut 20 Jahre lang erlebte Italien dieses Wechselspiel zwischen linker und rechter Mitte. 3340 Tage führte Silvio Berlusconi die Geschäfte des Ministerpräsidenten – solange wie kein anderer italienischer Politiker der Nachkriegszeit. Das waren Jahre geprägt vom Interessenkonflikt des Unternehmers und des Politikers Berlusconi, von Verstrickungen in über 30 Strafverfahren, von Sex-Skandalen und von einem Regierungsstil, der dem Populismus in Italien heute den Weg bereitet hat.