Gewöhnlich bildet sich die lange Schlange der Kunstfreunde, die in Amsterdam die Werke Vincent van Goghs ansehen wollen, schon lange, bevor das Van Gogh-Museum an der Paulus Potterstraat öffnet – vor allem am Wochenende, wenn die Busse die Touristen gleich tausendfach ausspucken. An jenem Sonntagmorgen aber verkündeten Zettel an den großen Eingangstüren, dass das gläserne Haus geschlossen bleibe. Ein Grund wurde nicht genannt. Und niemand sah, dass sich im Inneren des Gebäudes schon in den frühen Morgenstunden der Direktor und seine wissenschaftlichen Mitarbeiter versammelt hatten. Sie alle waren darüber informiert worden, dass das Van Gogh-Museum Ziel eines Raubüberfalls geworden und das Unfassbare geschehen war: 20 der wertvollsten Gemälde der Welt hingen nicht mehr an der Wand, waren verschwunden – und nur noch ihre Rahmen blieben zurück. Zu den Kuratoren, denen das Ausmaß der Katastrophe sofort klar war, gehörte damals Sjraar van Heugten.
Spuren eines Einbruchs von außen gab es nicht
"Die haben die Gemälde aus den Rahmen entfernt, und die lagen auf dem Boden. Und – ja – das war ziemlich klar, weil es viele Gemälde waren. Es war nicht ein Gemälde, das fehlte, aber viele. Und: Meisterwerke."
Das große "Weizenfeld mit Krähen", das lange als letztes Gemälde van Goghs galt, es aber nicht ist. Das berühmte "Schlafzimmer in Arles", van Goghs "Selbstbildnis vor der Staffelei", die "Zugbrücke" – und die "Sonnenblumen", die er ein halbes dutzend Mal gemalt hatte.
"Die Polizei war sehr schnell da. Und dann ist das natürlich ein Ort, wo etwas geschehen ist, und die Polizei übernimmt das Museum ab dem Moment."
Spuren eines Einbruchs von außen gab es nicht. Die Ermittlungen ergaben später, dass sich am Abend zuvor ein Mann unbemerkt in einer Toilette des Museums hatte einschließen lassen. Um genau drei Uhr am folgenden Morgen hörte dann einer der beiden Wachmänner einer externen Firma Schritte im Museum. Sekunden später stand ihm ein bewaffneter maskierter Mann gegenüber und sperrte ihn in eine Abstellkammer ein. Der Täter schaltete die Alarmanlage ab und öffnete einem Komplizen die Tür. Beide Täter ließen sich eine Dreiviertelstunde Zeit, um ihre Beute aus den Rahmen zu nehmen und in zwei Kleidersäcke und eine Reisetasche zu packen. Geschätzter Gesamtwert: mehrere hundert Millionen Gulden. Erst um 4:48 Uhr gelang es dem Wärter, Alarm auszulösen.
"Das hat eine Weile gedauert, und dann hat man herausgefunden, dass jemand von dem Museum da einbezogen war. Und das war natürlich eine schreckliche Sache. Aber, naja, das macht alles klar."
Die Diebe selbst fielen später auf einen Polizeitrick herein
Der spektakuläre Überfall auf das Van Gogh-Museum war das, was die Polizei einen "Insider-Job" nennt: Einer der beiden angeblich überfallenen Aufseher hatte mit den Dieben zusammengearbeitet. Was so spektakulär begonnen hatte, endete für die Täter allerdings im doppelten Desaster. Die Polizei löste sofort eine Großfahndung nach dem Fluchtwagen aus. Tatsächlich wurde er schon eine Dreiviertelstunde nach Ende des Überfalls an der Bahnstation Amstel, am Stadtrand von Amsterdam, entdeckt – mit den 20 gestohlenen Van Gogh-Gemälden auf dem Rücksitz. Geplant war gewesen, dass dort ein anderes Team die Beute übernehmen sollte. Dessen Wagen hatte aber eine Reifenpanne, und als die Fahrer deshalb erst mit Verspätung am Treffpunkt eintrafen, wimmelte es dort bereits von Polizisten – und die beiden Räuber waren längst in Panik geflohen. Kurator Sjraar van Heugten.
"Die Polizei war sehr schnell da, und wir haben dann gehört, dass die Gemälde im Polizeibüro waren. Und wir sind mit allen ins Polizeibüro gegangen – und da waren sie tatsächlich. Alle. Mit schweren Beschädigungen. Alles war zerkratzt. Das "Weizenfeld mit Krähen" zum Beispiel war wirklich schwer beschädigt. Das war eine Menge Arbeit, aber heutzutage sieht man das nicht mehr."
Die Diebe selbst fielen wenig später auf einen Polizeitrick herein. Drei Monate nach dem spektakulären Kunstraub verkündete die Polizei, sie stelle die Ermittlungen ein – die Täter könnten nicht mehr gefasst werden. Tatsächlich gab es zu diesem Zeitpunkt aber bereits zwei verdächtige Niederländer im Alter von 24 und 31 Jahren, deren Telefone abgehört wurden. Wie geplant, tappten die beiden in die Falle, beglückwünschten sich telefonisch zum vermeintlichen Erfolg – und wurden am 19. Juli 1991 verhaftet.