"Wir haben ein neues Profil auf der Basis der Gründungsideen. Wir besitzen ein neues Selbstbewusstsein. Nun lasst uns die Vernunft, den Mut aufbringen, mit einem neuen Partner zusammenzugehen. (…) Seid beherzt und signalisiert den Menschen: 'Hier entsteht eine neue Kraft, ein neuer Hoffnungsträger, sagt Ja zur Fusion.'"
Ludger Vollmer wollte nach dem schlechten Abschneiden der Grünen bei der Bundestagswahl 1990 seine Partei durch eine Fusion mit dem ostdeutschen Bündnis 90 zu neuer Stärke führen. Der Grünen-Politiker sprach im Mai 1993 auf dem Leipziger Parteitag, der schließlich den erhofften Zusammenschluss brachte. Hubert Kleinert, ebenfalls Befürworter der Fusion, kommentierte:
"Wir haben allen Anlass, ein Fest zu begehen. Und das wird auch morgen Abend kräftig gemacht."
Der Abgeordnete der Grünen wandte sich gegen alle Bedenken, die bei vielen anderen Delegierten anfangs vorgeherrscht hatten. Tatsächlich waren dem Vereinigungs-Parteitag lange Diskussionen vorangegangen. Bis zur letzten Minute war es unsicher, ob der am 23. November 1992 unterschriebene Fusionsvertrag gebilligt werden würde. Zu den entschiedensten Kritikern gehörte die Bürgerrechtlerin und Mitbegründerin des "Neuen Forums" Bärbel Bohley, die am Tag vor der Abstimmung gewarnt hatte:
"Wenn ich jetzt zum Beispiel an die Fusion denke, da wird seit gestern deutlich, welche Konflikte inhaltlicher Art unter den Tisch gejubelt werden, bloß damit die Organisation hinhaut. Ich denke an die militärischen Einsätze in Bosnien. Von den Grünen und Bündnis 90 erwarte ich eine offene Diskussion. Doch die wird eben einfach nicht geführt."
Flügel der West-Grünen waren arg zerstritten
Tatsächlich musste Hubert Kleinert eingestehen, dass in Leipzig eine "Vernunftehe" geschlossen wurde. Von einer "Liebesheirat" – wie sie Bärbel Bohley ersehnte – konnte keine Rede sein. Dazu waren die beiden Gruppierungen, die sich in Leipzig zusammenfanden, zu verschieden. Die West-Grünen hatten gerade einen langen Richtungsstreit hinter sich: Sie zerrieben sich jahrelang in zermürbenden Flügelkämpfen zwischen basisdemokratischen "Fundis" und pragmatischen "Realos". Erst in Leipzig setzten sich die "Realos" durch.
Unter dem Dach von Bündnis 90 dagegen sollte eine einheitliche Bürgerbewegung entstehen: hier sammelten sich nach der "Wende" die "Initiative Frieden und Menschenrechte", "Demokratie Jetzt", "Das Neue Forum", "Der Unabhängige Frauenverband", "Die Vereinigte Linke" und "Die Grüne Partei in der DDR". Diese ost-grüne Partei hatte bereits 1990 mit dem westdeutschen Partner fusioniert, da ein Teil der West-Grünen die DDR-Opposition aktiv unterstützt hatte. Der aus Zwickau stammende Bürgerrechtler Werner Schulz:
"Wir hatten plötzlich, allein auf totalitärer Flur, aktive Verbündete. Das ist unheimlich wichtig gewesen. Das vergisst man im ganzen Leben nicht. Schon deswegen waren die Grünen unsere genuinen Verbündeten."
Werner Schulz war Anfang der 1990er-Jahre Sprecher und Parlamentarischer Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Einzig das ostdeutsche Wahlbündnis zog bei der Bundestagswahl 1990 ins Parlament, während die West-Grünen den Einzug in den Bundestag verfehlten. Der Grund: Sie distanzierten sich von der Wiedervereinigung und bestanden als einzige Partei auf getrennten Wahllisten in West und Ost. Die Folge: Sie scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde und verloren an politischem Einfluss.
Jugoslawien-Eskalation vertiefte Brüche
Damit wurde die Solidarität unter den "genuinen Verbündeten" auf die Probe gestellt. In den folgenden Jahren vertiefte der eskalierende Jugoslawienkrieg den Bruch zwischen West- und Ost-Grünen, zwischen Pazifisten und Außenminister Joschka Fischer, der 1999 die NATO-Luftschläge gegen serbische Stellungen mit verantwortete.
Die Grünen haben diese Zerreißprobe überstanden. Werner Schulz sagte 2008, Bündnis 90/Die Grünen sei die erste Partei gewesen, die den rebellischen Geist der jungen Generation in West und Ost artikulierte und kompromisslos für Naturschutz, Bürgerrechte und Pazifismus eintrete:
"Unsere Vereinigung (…) war alternativlos, beispielhaft, zukunftsweisend und erfolgreich. Geblieben ist der moderne Doppelnamen im Logo – ein Name, der Geschichte und Programm ist."
An diesem Anspruch wird sich die Partei auch zukünftig messen lassen müssen. Der Wunsch, als Hoffnungsträger in West und Ost gleichermaßen Anerkennung zu finden, ist bisher noch nicht in Erfüllung gegangen.