"All die letzten Wochen habe ich eine Menge Arbeit gehabt wegen der riesigen Aufgaben, bis wir das Gesamtpaket für den Aufschwung Ost auf den Weg gebracht haben."
Ein notwendiger, aber auch ein schwieriger Weg sei es, fügt Bundeskanzler Helmut Kohl hinzu. Am 08. März 1991 ist es offiziell: mit dem "Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost" wollen die Regierungschefs von Bund und Ländern die ostdeutsche Wirtschaft vor dem Kollaps retten.
"Dieses Gemeinschaftswerk soll eine Initialzündung für den wirtschaftlichen Aufschwung im Osten Deutschlands bewirken, ein Finanzvolumen von insgesamt 24 Milliarden Mark, davon entfallen jeweils zwölf Milliarden auf die Jahre '91 und '92," erklärt Bundesfinanzminister Theo Waigel. Und Bundesarbeitsminister Norbert Blüm rechnet vor, wie viele ostdeutsche Arbeitnehmer direkt von den Finanzhilfen profitieren werden:
"Das bedeutet, dass wir an Stelle der vorgesehenen 130.000 Eintritte in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet 278.000 Eintritte in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen finanzieren können. 278.000!"
Ankurbelungsprogramm zur Förderung der Wirtschaft
Geplant sind Investitionen in Verkehrsinfrastruktur, Umweltschutz, Wohnungs- und Städtebau. Und die Wirtschaftsführer bestätigen: das "Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost" ist das "gigantischste Ankurbelungsprogramm" in der Geschichte des Landes. Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann erwartet entsprechende Gegenleistungen:
"Nunmehr ist ein Maximum an Anreizen für investitionsbereite Unternehmen geschaffen. Das heißt: Investoren in den neuen Ländern erhalten eine einmalig attraktive Förderung, jetzt können die Pferde saufen, um mit Karl Schiller zu sprechen, und ich hoffe und erwarte, dass sie es auch tun."
Sie tun es, aber mit unterschiedlichem Engagement und Erfolg. Bald wird klar: das Beschäftigungsproblem im Osten lösen die Investoren aus dem Westen auch nicht. In manchen Regionen liegt die Arbeitslosenquote bei weit über zehn Prozent. Die Menschen in den fünf neuen Bundesländern sind wütend. Am 10. Mai 1991, zwei Monate nach Verabschiedung des Programmpakets, richten sie ihren Unmut gegen den Kanzler der Einheit, gegen Helmut Kohl. Die "Tagesschau" berichtet:
"Zum Abschluss des Besuches am späten Nachmittag wollte er in Halle vor dem Rathaus doch noch einige Hände schütteln. Dann das, Eier und Tomaten flogen, der Kanzler verlor die Geduld und die Beherrschung. Und seine Sicherheitsbeamten verloren die Kontrolle.
Einführung eines Solidaritätszuschlags
"Was hat er uns denn alles versprochen? Ist doch nüscht los mehr. Geld bleibt das gleiche, und die Unkosten steigen."
"Ich bin arbeitslos, und in alten Zeiten haben wir alle unsere Arbeit gehabt. Und durch Kohl seine Versprechungen, die er gemacht hat und nicht gehalten hat, dadurch sitzen viele tausend Leute auf der Straße."
Finanziert wird das "Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost" vor allem vom Steuerzahler. Die Regierung führt den Solidaritätszuschlag ein, den so genannten Soli. Eine siebeneinhalb-prozentige Ergänzungsabgabe auf die Lohn-, Einkommen- und Körperschaftssteuer. Zudem erhöht der Staat die Abgaben für Benzin, Heizöl und Erdgas. Auch im Westen gibt es nun immer wieder verärgerte Stimmen.
"Ich meine, wir transferieren immerhin jedes Jahr zig Milliarden da rüber in den Osten, und trotzdem sind sie total unzufrieden. Natürlich haben sie eine ganze Menge Probleme, aber die sind ja hausgemacht."
Die Finanzierung der Wiedervereinigung: Ist ein Ende in Sicht?
Der Angleichungsprozess zwischen Ost und West dauert länger als vorhergesagt. Und er kostet. Deutlich mehr als die zusätzlichen 24 Milliarden D-Mark, die das Bundeskabinett 1991 zur Verfügung stellt. Auf das "Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost" folgen "Solidarpakt I und II". Wie hoch die Gesamtkosten der Wiedervereinigung sind, darüber streiten sich die Gelehrten. Der Berliner Politikwissenschaftler Klaus Schroeder kommt auf eine Zahl mit zwölf Nullen:
"Wenn Sie sämtliche Transfers, sowohl innerdeutsch als auch von EU-Seite, von 1990 bis 2015 zählen, kommen Sie auf knapp 2 Billionen Euro, die geflossen sind in die Neuen Länder."
Von denen weit mehr als die Hälfte der Volkswirtschaft zugute kam, argumentiert die Gegenseite. In Form von Steuer- und Exporteinnahmen. Meint auch der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen, Kurt Biedenkopf:
"Das Wichtigste war an dem Gemeinschaftswerk, dass es überhaupt stattfand. Es hat eine ganze Weile gedauert in Westdeutschland, bis die Menschen dort begriffen haben, dass es nicht darum geht, den armen Nachbarn im Osten zu helfen. Sondern dass es darum geht, ganz Deutschland auf eine neue Basis zu stellen.