Seinen Namen als Autor und Essayist machte sich Günther Anders 1930 in der Redaktion des Berliner Börsen-Couriers. Der Feuilletonchef Herbert Ihering hatte auf einem Pseudonym bestanden und gemahnt:
"Es geht nicht, dass die ganze Zeitung nur von Günther Stern geschrieben ist, dass jeder Text vom selben Autor ist. Da sagte ich zu ihm: Dann nennen Sie mich doch irgendwie anders. Da sagt er: Gut! Ich nenne Sie 'Anders'. Und daraufhin habe ich alle wissenschaftlichen Dinge - also Hegel-Kongresse - weiter unter Günther Stern, aber Gedichte und so etwas war dann unter Günther Anders."
Flucht vor der Nazi-Diktatur
Als Günther Stern hat der 1902 in Breslau geborene Sohn des Psychologen William Stern bereits eine beachtliche akademische Karriere aufzuweisen: Dissertation bei Edmund Husserl, Assistent von Max Scheler, vertiefende Studien bei Martin Heidegger. In dessen Umkreis lernt der Philosoph 1925 seine erste Frau kennen: Hannah Arendt. Sie lassen sich 1937 in Paris scheiden, kurz vor der Überfahrt in die USA. Günther Anders flieht - unter neuem Namen - vor der Nazidiktatur. Der Sohn einer jüdischen Familie hatte aus bitterer Erfahrung mit dem aggressiven Antisemitismus gelernt, bereits 1917, in einer paramilitärischen Schülergruppe:
"Ich war der einzige Nicht-Christ und wurde in jeder Nacht furchtbar gequält und gefoltert. Und man hat alles das mit mir getan, was dann im Jahr 1933 allgemein Erscheinung geworden ist." Diese brutalen Methoden totalitärer Systeme hat Anders bereits 1930 geschildert im Entwurf für den Roman "Die Molussische Katakombe". Im amerikanischen Exil kommt der Autor kaum noch zum Schreiben, er muss sich als ungelernter Arbeiter über Wasser halten: "Ich habe tagsüber in der Fabrik Englisch gesprochen, kam nach Hause - und so, wie man sich ein sauberes Hemd anzieht, so zog ich mir mein sauberes deutsches Hemd an. Und schrieb auf Deutsch weiter, weil ich ja für das Deutschland nach Hitler schrieb."
Fantasie, um die Wirklichkeit zu erfassen
Anders wird zum Sprachanalytiker. Er klopft unbedacht verwendete oder bürokratische Begriffe ab, legt den verborgenen Gehalt frei: Eine "Aufenthaltserlaubnis", so notiert der Flüchtling, sei tatsächlich nichts weniger als die "Lebenserlaubnis". Dann aber macht ein Ereignis nicht nur den sensiblen Zeitdiagnostiker vorübergehend sprachlos: der Abwurf der Atombombe auf japanische Städte.
"Das geht so weit, dass, wenn ich mit Opfern von Hiroshima mich unterhalten wollte, sie alle einfach schweigsam blieben, weil es zu groß war, als dass sie sich daran hätten erinnern können, als dass sie es hätten wahrnehmen können."
Erst 1950, nach seiner Rückkehr nach Europa, erkennt Günther Anders: "Dass wir, um empirisch unserer Welt gewachsen zu bleiben, von der Empirie fortgehen müssen zur Fantasie."
Mit literarischer Imagination ließ sich überwinden, was Anders "Apokalypseblindheit" nennt: Die Unfähigkeit, sich die Folgen komplexer und für den Einzelnen undurchschaubarer Technologien auszumalen. Seinem Buch über diese bedrohliche Entwicklung gibt er 1956 den Titel "Die Antiquiertheit des Menschen".
In einem Atemzug mit Sartre, Camus und Adorno
Noch Jahrzehnte später stellt der Romanautor Ulrich Peltzer den Vietnamkriegsgegner und Initiator der Anti-Atom-Bewegung in eine Reihe mit Denkern, die 1968 eine rebellische Jugend geprägt haben: "Sartre und Camus, Anders und Theodor W. Adorno. Die Suche nach einer Sprache, die ausdrückt, was einen bewegt. Nicht die Sprache der Altvorderen, gebellter Schulhofkommandos und beflissener Seminararbeiten über das Versmaß des Rolandslieds, sondern eine Sprache des Eingriffs und der Bedürfnisse."
Eingreifen, scheinbar Unabwendbares verhindern, das war für Günther Anders die Grundbedingung eines menschenwürdigen Lebens: "Es genügt nicht, die Welt zu verändern. Es kommt darauf an, sie erst einmal zu bewahren. Dann wollen wir sie verändern - und sehr revolutionär verändern."
Mit diesem Interview, wenige Monate vor seinem Tod am 17. Dezember 1992 in Wien, hatte der Neunzigjährige die Bilanz eines eigensinnigen und streitbaren Lebens gezogen – und sich selbst porträtiert: als konservativen Revolutionär.