"Wahlpartys oder Freudenkundgebungen, die gab es nicht in Moskau. Stattdessen ruhige Genugtuung über den noch inoffiziellen Wahlsieger, der Boris Jelzin heißt."
"Ich bin glücklich, ich habe ihn gewählt. Der ist doch der einzige Seriöse."
Der ARD-Hörfunk berichtete am 12. Juni 1991 über die Präsidentschaftswahlen in Russland. Zum ersten Mal in der Ära der Sowjetunion konnten die russischen Bürgerinnen und Bürger frei entscheiden, wer an der Spitze ihres Landes stehen sollte.
"In seiner Heimatstadt Swerdlowsk schaffte Jelzin nach bisher vorliegenden Ergebnissen 90 Prozent; in fast allen Städten des Landes mehr als die Hälfte der Stimmen für den Radikalreformer."
Der Sieger Boris Jelzin wurde 1931 als Bauernsohn in der Nähe von Swerdlowsk geboren und machte Karriere als sowjetischer Parteikommunist: 1981 wird er Mitglied des Zentralkomitees, 1985 holt ihn der neue Generalsekretär Michail Gorbatschow nach Moskau. Doch dem ungestümen, machtbewussten Jelzin gehen die moderaten Reformprozesse Gorbatschows zu langsam. Er tritt im Sommer 1990 aus der Kommunistischen Partei aus, in einer Zeit, als sich die Sowjetunion aufzulösen beginnt. Jelzin will Russland in ein unabhängiges, demokratisches und prosperierendes Land verwandeln, gewinnt mit diesem Versprechen die Präsidentschaftswahl und wird am 10. Juli 1991 im Moskauer Kreml vereidigt.
"Bürger der Russischen Föderation, ich schwöre bei der Anwendung der Präsidentenvollmachten der Russischen Föderation, der Verfassung und den Gesetzen dieses Staates zu folgen, ferner die Souveränität Russlands zu verteidigen."
Jelzins berühmte Rede auf dem Panzer
Die erste Bewährungsprobe kommt bereits einen Monat später. Eine Gruppe orthodoxer Kommunisten will die frühere Diktatur wiederherstellen. Die Putschisten setzen Michail Gorbatschow, den Präsidenten der UdSSR, auf der Krim fest, erklären den Ausnahmezustand und lassen Panzer in Moskau auffahren. Die Einwohner der Hauptstadt errichten Barrikaden, Boris Jelzin klettert am Weißen Haus, dem Sitz der Russischen Föderation, auf einen Panzer und hält eine flammende Rede an seine Anhänger.
Der Putsch sei durch nichts zu rechtfertigen, es handle sich um einen reaktionären, verfassungsfeindlichen Umsturz, erklärt Jelzin und ruft zum Widerstand auf. Seine Ansprache auf dem Panzer – ein Bild, das um die Welt geht - mobilisiert die Massen, die Putschisten geben auf.
Der Präsident geht gestärkt aus dieser Konfrontation hervor, er verbietet die vormals allmächtige KPdSU in Russland und demütigt seinen Widersacher Gorbatschow auf offener Bühne. Die politische Bilanz seiner Amtszeit fällt zwiespältig aus: Jelzin etabliert ein politisches System mit weitreichenden präsidialen Vollmachten und legt damit das Fundament für das autokratische Regime seines Nachfolgers Wladimir Putin.
Verfassungswidrig löst er das Parlament mit militärischer Gewalt auf. Die sowjetische Planwirtschaft will er marktwirtschaftlich ausrichten, begünstigt aber bei der undurchsichtigen Privatisierung des Staatsbesitzes dubiose Oligarchen. Außenpolitisch beschleunigt Jelzin den Untergang der UdSSR, indem er mit den Präsidenten der Ukraine und Kasachstans die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten aus der Taufe hebt. Später führt er einen blutigen Krieg gegen Tschetschenien, um die Kaukasusrepublik wieder dem russischen Staatsverband einzuverleiben.Geschwächt durch gesundheitliche Probleme und vermutlich hohen Alkoholkonsum, erklärt Boris Jelzin am 31. Dezember 1999 seinen Rücktritt.
"Heute spreche ich zum letzten Mal zu Ihnen als Präsident Russlands. Ich habe lange und unter Qualen hin und her überlegt, mich dann aber entschieden: Heute, am letzten Tag dieses scheidenden Jahrhunderts, trete ich zurück."
In seinen letzten Jahren lebte Jelzin zurückgezogen auf einer Regierungsdatscha in der Nähe von Moskau. Er starb am 23. April 2007. Boris Jelzin habe seinem Land große Dienste geleistet, aber auch große Fehler gemacht, erklärte sein früherer Kontrahent Michail Gorbatschow zum Tod des ersten russischen Präsidenten.