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Vor 25 Jahren
Lettland erklärt seine Unabhängigkeit von Moskau

Lettland ist heute eine stabile Demokratie, Mitglied der EU und der NATO. Bei der Unabhängigkeitserklärung von Moskau am 21. August 1991 war allerdings noch völlig unklar, wie sich das Land entwickeln würde - nicht zuletzt aufgrund des zeitgleich stattfindenden Putsches Boris Jelzins gegen Präsident Michail Gorbatschow.

Von Uli Hufen |
    Flagge Lettland u. a.
    1991 sahen viele die Unabhängigkeit Lettlands von Russland skeptisch. (imago/blickwinkel)
    "Es ist an der Zeit, dass die Junta gestürzt wird und auf den Müllhaufen der Geschichte kommt."
    Europa atmete auf, als Boris Jelzin am 20. August 1991 ein schnelles Ende des Putsches gegen Präsident Gorbatschow vorhersagte. Im lettischen Riga nutzte der Oberste Sowjet die Gunst der Stunde. Schon einen Tag später, am 21. August, unterzeichnet der Ex-Kommunist Anatolij Gorbunow als nominelles Staatsoberhaupt das "Verfassungsgesetz über den Status der Lettischen Republik".
    "Lettland ist eine unabhängige, demokratische Republik, in der die souveräne Macht vom lettischen Volk ausgeht und deren internationalen Rechtsstatus die Verfassung der Lettischen Republik vom 15. Februar 1922 bestimmt."
    "Man erklärte nicht die Unabhängigkeit, man erklärte die Wiederherstellung der Unabhängigkeit."
    Andrejs Urdze war seit 1988 erst Vertreter der Bürgerbewegung "Lettische Volksfront" und dann der Republik Lettland in der Bundesrepublik:
    "Man knüpfte an an die alten Verfassungen, man knüpfte an an die alten Gesetzgebungen, und das auch bezüglich des Staatsbürgerschaftsrechtes."
    1939 hatten Hitler und Stalin Osteuropa unter sich aufgeteilt, 1940 wurden die baltischen Staaten gezwungen, der Sowjetunion beizutreten. Illegal und darum nichtig - jedenfalls aus Sicht der Lettischen Volksfront. Die wurde im Sommer 1988 zunächst mit dem Ziel gegründet, Gorbatschows Glasnost-Politik zu unterstützen.
    "Im Laufe des Jahres 1989 verschärfte sich die Situation, und man merkte, es geht gar nicht anders. Es ist kein Entgegenkommen zu spüren, und dann war es klar, Ende 1989 lautet die Losung ganz klar schon: Unabhängigkeit."
    Am 23. August 1989 demonstrierten zwei Millionen Esten, Letten und Litauer mit einer Menschenkette quer durchs Baltikum für ihre Unabhängigkeit.
    Am 4. Mai 1990 erklärte der Oberste Sowjet die Wiederherstellung der Unabhängigkeit und die Umbenennung der lettischen Sowjetrepublik in Republik Lettland. Andrejs Urdze:
    "Anschließend gab es eine große Manifestation am Ufer der Daugava, und da waren zigtausend Menschen und die Politiker redeten, und alle waren freudestrahlend und am selben Tag zwei Stunden später fuhren da die Panzer. Einerseits hat man die Unabhängigkeit erklärt, aber gleichzeitig zeigte die Sowjetmacht: 'Wir sind noch immer die Herren hier im Lande.'"
    Skepsis gegenüber der Unabhängigkeit
    Doch nicht nur Moskau ist skeptisch, was die Unabhängigkeit der Balten angeht.
    "Für Kohl galt nur Gorbatschow und Russland. Kohl war immer dagegen, in irgendeiner Weise die baltischen Staaten zu unterstützen, die Loslösung, ganz im Gegenteil."
    In Europa hat man Angst vor dem Zerfall der Supermacht Sowjetunion. In Moskau aber sitzt ein Mann, der diesen Zerfall betreibt. Der russische Parlamentspräsident Boris Jelzin hat wie die Balten 1989 die Souveränität seiner Republik erklärt, auch er mobilisiert Nationalismus, Erinnerungen an erlittenes Unrecht und demokratische Ideale im Machtkampf mit der sowjetischen Zentrale. Jelzin ist der wichtigste Verbündete der Balten. Am 21. August 1991 übernimmt er in Moskau das Ruder.
    "Mittwoch war Putschende, Freitag waren wir gemeinsam mit der ehemaligen Ministerpräsidentin von Litauen Prunskiene bei Genscher, wo wir nach 15 Minuten meinten: 'Es hat keinen Sinn.' Er war noch immer so ablehnend, ihm waren die Hände gebunden. Aber dann zwei Tage später hat Jelzin russischerseits, als Präsident Russlands, offiziell die baltischen Staaten anerkannt."
    Ein Statement mit staatspolitischer Kraft
    Jelzins Statement gibt den Erklärungen der baltischen Parlamente staatspolitische Kraft und dem Westen die Möglichkeit, Historisches zu verkünden. Außenminister Genscher am 27. August 1991:
    "Deshalb wollen wir jetzt, da es möglich geworden ist, unsere Beziehungen zu Estland, Lettland und Litauen wieder aufnehmen."
    Nicht das Ende aller Sorgen
    25 Jahre nach diesen historischen Ereignissen ist Lettland eine stabile Demokratie, Mitglied der EU und der NATO. Das kleine baltische Land hat in diesen 25 Jahren aber auch ein Viertel seiner Bevölkerung verloren. Ökonomische Perspektivlosigkeit drängt vor allem junge Letten in die Emigration, die Geburtenrate ist niedrig, die Selbstmordrate hoch. Die politischen Hoffnungen der Unabhängigkeitsbewegung haben sich erfüllt. Doch die Letten mussten schnell lernen, dass damit nicht das Ende aller Sorgen verbunden war.