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Vor 25 Jahren
Václav Havel wurde erster Präsident Tschechiens

Vom Dissidenten und Schriftsteller zum Präsidenten: Václav Havel war nach dem Ende des Kommunismus die prägende Figur der Tschechoslowakei. Als Tschechen und Slowaken ab 1993 getrennte Wege gingen, wurde er heute vor 25 Jahren zum ersten Präsidenten der Tschechischen Republik gewählt.

Von Annette Kraus |
    Regierungschef Vaclav Klaus (r) gratuliert dem neu gewählten Präsidenten Vaclav Havel (l). Havel, der letzte Präsident der Tschechoslowakei, ist am am 26. Januar 1993 mit großer Mehrheit zum Präsidenten der Tschechischen Republik gewählt worden.
    Regierungschef Vaclav Klaus (r) gratuliert dem neu gewählten Präsidenten Vaclav Havel (l). (dpa)
    Großes Zeremoniell für einen neuen Staat: Dvořáks 8. Symphonie begleitete den Amtsantritt des Präsidenten. Im Februar 1993 zog Václav Havel erneut in die Prager Burg ein - nicht mehr als Präsident der Tschechoslowakei, sondern der Tschechischen Republik.
    "Ich danke dem Abgeordnetenhaus des tschechischen Parlaments, das mir das Vertrauen erwiesen hat, indem es mich zum ersten tschechischen Präsidenten gewählt hat."
    55 Prozent der Abgeordneten stimmten am 26. Januar 1993 für den alten und neuen Präsidenten. 1989 war der charismatische Bürgerrechtler und Dramatiker die Gallionsfigur der Samtenen Revolution geworden, die dem kommunistischen Regime ein Ende bereitet hatte. Noch im gleichen Jahr als Präsident vereidigt, hatte Havel weitreichende Befugnisse im Prozess der politischen Erneuerung:
    "Ich würde sagen, er hat vornehmlich eine Rolle eines Garanten gespielt für diese ganze Transformation. Er war nie ein Fachmann in irgendeine Richtung, aber er war als Symbol, als Garant für den ganzen Wechsel zum demokratischen System verantwortlich."
    "Das unübersichtliche Terrain der Freiheit sortieren"
    So der Journalist und Havel-Biograf Daniel Kaiser. Havel versuchte, das "unübersichtliche Terrain der Freiheit", wie er es nannte, zu sortieren. Der Präsident, der unter den Kommunisten fünf Jahre im Gefängnis gesessen hatte, nannte die Dinge beim Namen, etwa in einem Radiointerview im April 1990.
    "Die Euphorie ist vorbei, und die Zeit ist gekommen, in der wir mit der Freiheit etwas anfangen müssen. Und auf einmal zeigt sich, wie wenig wir das können und wie ratlos wir sind."
    Drängendstes Problem war bald die Nationalitätenfrage. Schon lange wuchs im slowakischen Landesteil die Unzufriedenheit über den gemeinsamen Staat. Auf dem Papier war die Tschechoslowakei seit 1969 eine Föderation, in der Praxis fühlten sich die Slowaken bevormundet. Daniel Kaiser:
    "Sie haben bekanntlich mit Ausnahme der Slowakischen Republik im Zweiten Weltkrieg nie irgendeinen eigenen Staat gehabt. Sie wollten einen Staat haben, obwohl das wahrscheinlich die meisten im Jahr '89 noch nicht so richtig gewusst haben. Aber irgendwo im Unterbewusstsein strebten sie immer dann in diese eine Richtung."
    Aufbau eines neuen Wertegefüges
    "Es lebe die Slowakei" schallte es dem Präsidenten 1991 in Bratislava entgegen. Spätestens nach den Wahlen 1992 war klar, dass die beiden Republiken in unterschiedliche Richtungen steuerten. Ohne die Stimmen der slowakischen Abgeordneten blieb Havel im Juli '92 nur der Rücktritt. Ausgehandelt wurde die Teilung schließlich von den Premiers der Teilrepubliken, im Januar 1993 trat sie in Kraft. Als Havel im Februar 1993 vor dem tschechischen Parlament sprach, verhehlte er nicht seine Trauer über das Ende der Tschechoslowakei.
    "Als Bürger haben wir uns immer mit dem tschechoslowakischen Staat identifiziert. Wir empfanden die Tschechoslowakei als unser natürliches Zuhause, und allein der Gedanke an ihre Teilung war ein harter Schlag für unsere Identität."
    Doch Havel nutzte den Neuanfang auch für eine kritische Bestandsaufnahme. Den rasend schnellen Umbruch reflektierte der Präsident schonungslos:
    "Der starke Anstieg von Kriminalität und organisiertem Verbrechen, von kollektiver Gewalt, Hass, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenhass, die grassierende Korruption, das Goldgräberfieber und die Auffassung, dass das Leben ein Dschungel sei und der Mensch dem Menschen ein Wolf sein müsse - das sind nur die bedeutendsten Manifestationen dieses eigenartigen Zustands, in den eine Gesellschaft gerät, wenn das Wertegefüge des totalitären Staats zusammengebrochen und noch kein Wertegefüge einer bürgerlichen Gesellschaft herangereift ist."
    Am Aufbau dieses neuen Wertegefüges versuchte Václav Havel als Präsident mitzuarbeiten: etwa als Verfechter der Menschenrechte und Befürworter enger transatlantischer Beziehungen. Auch der Traum von der "Rückkehr nach Europa" wurde Wirklichkeit: 2004 und damit ein Jahr nach Havels Abtritt als Präsident wurde Tschechien Mitglied der Europäischen Union.