Ernst Moritz Arndt: "Dieser schöne Tummelplatz der Freude und des Vergnügens liegt eine starke Viertelstunde von der Brücke, welche die Stadt von der Leopoldstadt scheidet …"
Als der junge deutsche Schriftsteller und spätere Freiheitskämpfer Ernst Moritz Arndt 1798 nach Wien kam, widmete er etliche Seiten seines Reiseberichts dem Prater - der weitläufigen Wiesen- und Auenlandschaft im Donaugebiet, lange exklusives Jagdgebiet des Adels, doch seit dem 7. April 1766 dem Volk überlassen. Zwar gab es Ende des 18. Jahrhunderts noch ein paar Sperrzonen, aber...
"sonst ist alles seit Josephs Zeit ein freyer Tummelplatz, und ein schöner und freundlicher Erlustigungsort für die frohen Menschenkinder." (Arndt)
Joseph II. - 1765 war er Kaiser geworden. Noch regierte er, der Anhänger der Aufklärung, neben seiner ebenso dynamischen wie konservativen Mutter Maria Theresia, die ein Auge auf die reformerischen Ideen des Sohnes hatte. Die Öffnung des Praters für die Bevölkerung der dicht bebauten Stadt Wien war eine davon.
"Das ist ein aufklärerisches Projekt. Sowohl aufklärerisch als auch populär."
... sagt der Chefkurator am Jüdischen Museum Wien, Werner Hanak-Lettner. Wie groß der Erfolg war, zeigte sich daran,
"… dass am Sonntagvormittag der Prater wieder geschlossen wurde, weil das wirklich eine Konkurrenz zum Kirchgang am Sonntagvormittag wurde."
Diese Maßnahme dürfte auf das Konto der Kaiserin gehen, ebenso wie das Roden und Lichten der Vegetation, die das Gelände für die sittlich besorgte Obrigkeit so unübersichtlich machte. Das konnte auch Ernst Moritz Arndt beobachten:
"Hier ist es Zeit für die liebe genußfrohe Jugend, sich anzumachen. ... Einladend sind die Bäume, sich zur Vorrede vertraulich hinzulagern, und Büsche giebt es auch."
Zwangloses Zusammenkommen
Schon in seinen Anfängen war also der Prater der Ort heimlicher Vergnügungen und professioneller Liebesdienste, als der er viel später in die Literatur einging, zum Beispiel in Arthur Schnitzlers "Reigen". Neben der reinen Natur boten immer mehr Etablissements die Möglichkeit zum zwanglosen Zusammenkommen.
Ernst Moritz Arndt: "… eine Menge kleiner Häuschen, Garküchen, Schenken und Keller, die um sich her, wie in einem Lager, große und kleine Sitze, Tischchen, Stühle, Bänke und andre Zurüstungen und Vorrichtungen des Vergnügens haben."
Ein ameisenhaftes Gewimmel registrierte Arndt im Prater, von den einfachsten Leuten bis hin zu den Vornehmen, die ihre, so Arndt, "hoch- und wohlgeborenen Hintern" leutselig auf Holzsitze platzierten, um Schlagsahne, Limonade oder Eis zu sich zu nehmen.
"Kegelbahnen sind allenthalben; gewaltige Schaukeln, worin die Bürger und Bürgerinnen sich nach den Strapazen ihrer Beine wiegen lassen." (Arndt)
Unter dem Ansturm der feierfreudigen Wiener aller Stände und Klassen entfaltete sich rasch die umfassende kommerzielle Freizeitkultur des Volks- oder Wurstlpraters mit seinen Fahrgeschäften und schrägen Attraktionen, der bis heute nur einen kleinen Teil des weiten Areals ausmacht. Im Prater zündete Johann Georg Stuwer seit 1773 legendär aufwendige Feuerwerke, hier erprobten sich tapfere Ballonfahrer und Flugpioniere, berühmte Gasthäuser entstanden, in denen berühmte Musiker spielten, von Beethoven bis zu den Walzer-Königen der Strauß-Dynastie.
Das Riesenrad stammt von 1897
Varieté, Zirkus und Operette blühten neben dem technischen Fortschritt: zum 50. Thronjubiläum Kaiser Franz Josephs bauten englische Ingenieure 1897 das Riesenrad. Dessen geistiger Vater, ein Theaterdirektor namens Gabor Steiner, hatte zwei Jahre zuvor ein Stück Prater, den ehemaligen Kaisergarten, gepachtet und verwirklichte dort seinen Traum: Venedig in Wien.
Ein Themenpark; gleichzeitig ein realer Ort für Konzerte, Bankette, Kabaretts, Theateraufführungen, Skandale inbegriffen. Diese reichhaltige Bühnenkultur wuchs in den Stadtteil hinein, zu dem der Prater gehört: die jüdisch geprägte Leopoldstadt, der um das Jahr 1900 täglich Einwanderer aus den östlichen Ländern der Monarchie zuströmten.
Einen "kleinen Wiener Broadway" nennt Werner Hanak-Lettner diese Szene. Auf deren Brettern stand Hans Moser, bevor der Film ihn entdeckte, hier wurden Stücke geschrieben und gespielt, die sich ausdrücklich mit Problemen der Einwanderung beschäftigten.
Die Leopoldstadt als jüdischer Bezirk starb mit dem Einzug der Nazis 1938. Das Riesenrad, unter dem sich ihr lebendiges und kontrastreiches Leben abgespielt hatte, schaute gleichgültig zu.