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Vor 250 Jahren geboren
Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Er galt als Spätzünder und schlechter Redner. Doch setzte Hegel mit seiner Dialektik und seiner "Wissenschaft der Logik" neue Maßstäbe in der Philosophie. Ein Denker der preußischen Restauration war er nur in den Augen seiner Feinde. Hegel blieb bis zuletzt ein Sympathisant der Französischen Revolution.

Von Christoph Vormweg |
    Lithografie Georg Wilhelm Friedrich Hegels
    Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (picture-alliance/Design Pics/Ken Welsh)
    "Ich glaube, Hegel ist ein Denker, über den die meisten Lügenmärchen und Klischees verbreitet wurden. Schon mein Vorgänger […] der erste Biograf Hegels, Karl Rosenkranz, schreibt: Hegel ist der Philosoph der Revolution und nicht der Philosoph der Restauration", so Klaus Vieweg bei der Vorstellung seiner Hegel-Biografie auf der Frankfurter Buchmesse.
    Der Philosoph selbst unterstreicht in seiner Vorlesung über die Philosophie der Geschichte:
    "Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit,
    ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben."
    Klaus Vieweg: "Hegel. Der Philosoph der Freiheit"
    Zum 250. Geburtsjahr von Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat der Philosophieprofessor Klaus Vieweg eine neue Biografie des großen deutschen Denkers vorgelegt.
    Georg Wilhelm Friedrich Hegel, geboren am 27. August 1770 in Stuttgart, stammt aus einer schwäbischen Beamtenfamilie. Er gilt als Spätzünder. Während seines Studiums der Philosophie und Theologie am Tübinger Stift nennt man ihn "den Alten". Einen Winter lang wohnt Hegel mit zwei anderen zukünftigen Geistesgrößen auf einem Zimmer: dem Dichter Hölderlin und dem Philosophen Schelling.
    Klaus Vieweg: "Die jungen Studenten waren natürlich, die meisten, begeisterte Anhänger der Französischen Revolution, speziell auch Hegel. Hegel war der Mitanführer eines revolutionären Studentenkreises."
    Auf allen Gebieten Wissen angesammelt
    Hegel macht sich für die Prinzipien der Freiheit und der Vernunft stark. Nach Ende seines Studiums nutzt er seine Jahre als Hauslehrer, um auf allen Gebieten Wissen anzusammeln: in Volkswirtschaft, Natur- und Sozialwissenschaften, ja sogar Astronomie. Frei nach dem Prinzip: "Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen."
    Hegel will die gesamte Wirklichkeit in einem philosophischen System deuten – inklusive ihrer historischen Entwicklung. Er denkt groß – auch bei seiner Begegnung 1806 mit dem Eroberer Napoleon, der mit seinen neuen, von der Französischen Revolution inspirierten Gesetzen vielen Regionen Deutschlands die Moderne bringt:
    "Es ist in der Tat eine wunderbare Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die Welt übergreift und sie beherrscht."
    Reliefschrift "Hegel", deutscher Philosoph, am Durchgang zum Neuen Museum, Luitpoldstraße 5, Nürnberg, Mittelfranken, Bayern, Deutschland, Europa | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
    Philosoph Vieweg: "Bei Hegel sind Freiheit und Vernunft immer verknüpft"
    Georg Wilhelm Friedrich Hegel werde oft missverstanden, sagte der Philosoph Klaus Vieweg im Dlf. Zu Beginn des Hegel-Jahrs liefert der Biograf Argumente für die Aktualität des Denkers der Freiheit.
    Die Idee des "Weltgeists" wird ein Kernbegriff von Hegels spekulativer Philosophie. Seine "Phänomenologie des Geistes", die Grundlegung seines Systems, erscheint 1807. Doch erst nach Jahren als Journalist, Gymnasiallehrer und Dozent wird der wichtigste Denker des deutschen Idealismus, 46-jährig, zum Professor berufen: erst nach Heidelberg, dann, ab 1818, nach Berlin.
    Von der preußischen Polizei stets überwacht
    Seine Vorlesungen sind bestens besucht, obwohl Hegel alles andere als ein guter Rhetoriker ist, wie Biograf Klaus Vieweg schreibt: "Er stückelte Sätze, kramte in Papieren, schnupfte Tabak, krächzte und hustete. Er sprach zu sich selbst, ein lautes Selbstgespräch, eine Art denkende Improvisation – er dachte seinen Zuhörern etwas vor."
    Hegel, der philosophische Systembauer und Begriffsdenker, wird von der preußischen Polizei stets überwacht, obwohl er die Idee des Staates als etwas durch und durch Positives sieht.
    "Es ist der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat ist, sein Grund ist die Gewalt der sich als Wille verwirklichenden Vernunft."
    picture-alliance/Design Pics/Ken Welsh
    Freiheit oder Naturalismus: Zur Hochaktualität HegelsIn der Coronakrise wird vielen Menschen bewusst, wie wichtig ihnen ihre Selbstbestimmung ist. Auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel, geboren 1770, machte den Freiheitsbegriff zu einem seiner zentralen Themen.
    Hegels treibende Kraft ist das von Fichte inspirierte Denken in Widersprüchen, die Methode der Dialektik. Aus Thesis und Antithesis entsteht jeweils eine höhere Form der Synthesis. Auf die Spitze getrieben will er so zum "absoluten Geist" vordringen. Die Aktualität Hegels, der die Willkür des freien Marktes vehement ablehnt, wird heute aber oft unterschätzt:
    "Ich behaupte, dass Hegel der Begründer des Gedankens einer sozial regulierten Marktordnung ist, und dass die Marktstruktur die Tendenz in sich hat, so Hegel, sich selbst zu zerstören. Deswegen braucht sie Regulation und einen sozialen Staat. Hegel war ein weltbürgerlicher Denker, ein dezidierter Kritiker allen Nationalismus und allen Rassismus."
    Ob der Philosoph und Weinliebhaber, der Karl Marx zu seiner Kritik der politischen Ökonomie anregt, im Alter von 61 Jahren an der Cholera stirbt oder an einem Magenleiden, bleibt offen. In jedem Fall: Seine Sympathie für die Ideen der Französischen Revolution behält er.
    Die Schlussworte von Hegels letzter Vorlesung lauten: "Freyheit ist das Innerste, und aus ihr ist es, daß der ganze Bau der geistigen Welt hervorsteigt."