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Vor 250 Jahren geboren
Susette Gontard - die Geliebte Friedrich Hölderlins

Sie war wunderschön, seelenvoll - und mit einem anderen verheiratet: Als sich der Dichter Friedrich Hölderlin in die Frankfurter Bankiersgattin Susette Gontard verliebt, ist das der Beginn einer verbotenen Affäre mit tragischem Ende. Doch ihre ergreifenden Liebesbriefe haben die Zeit überdauert.

Von Christoph Schmitz-Scholemann |
    Friedrich Hölderlin und Susette Gontard nach einer Zeichnung von Norbert Schroedl (1842-1912).
    Die große Liebe des Dichters Friedrich Hölderlin - und verewigt in seinen Gedichten als „Diotima“: Susette Gontard (picture-alliance / akg-images)
    Dass ein Hauslehrer mit der Mutter seiner Zöglinge ein Techtelmechtel anfing, war vor 200 Jahren nichts Außergewöhnliches. Dass daraus ein tiefes Liebesverhältnis und große Literatur entstand wie im Fall Susette Gontard und Friedrich Hölderlin, war ein ein tragischer Glücksfall.]
    Ihre Liebesbriefe waren so seelenvoll und gedankenreich, dass sie bis heute nachgedruckt werden: Susette Gontard ging in die Literaturgeschichte ein – obwohl sie keine Schriftstellerin war.
    "Welch eine schwere Kunst ist die Liebe! Wer kann sie verstehen? Und wer muss ihr nicht folgen?"
    Liebe auf den ersten Blick
    Geboren um den 9. Februar 1769 als Tochter eines Hamburger Kaufmanns, wuchs sie in einem kultivierten und heiteren Elternhaus auf. Als sie siebzehn war, wurde ihr ein weitläufiger Verwandter als Ehemann präsentiert, den sie ohne großes Zögern heiratete: Jakob Friedrich Gontard war ein Mann von angenehmen Umgangsformen und als Spross einer hugenottischen Bankiersfamilie eine sehr gute Partie. Susette zog mit ihm nach Frankfurt. Dort spielte sie die ihr zugedachte Rolle als Anziehungspunkt bei den Abendgesellschaften des Geldadels mit verhaltener Begeisterung, aber großem Erfolg, wie ein Kenner der Frankfurter Szene berichtete:
    "Ihr langes schwarzes Haar und ihr sprechendes Auge von gleicher Farbe erhöhten die blendende Weiße ihres Teints."
    Vier Geburten gleich in den ersten Ehejahren und die Verantwortung für den riesigen Haushalt zehrten an Susettes Kräften. Ihr Mann beschloss, zu ihrer Entlastung einen Privatlehrer zu engagieren. Der erschien Anfang 1796 zum Dienstantritt: Friedrich Hölderlin, ein verträumt dreinschauender Mittzwanziger, für dessen Gedichte der empfindsame Teil der deutschen Leserschaft damals zu schwärmen begann. Für Hölderlin war es Liebe auf den ersten Blick. Einem Freund schrieb er:
    "Mein Schönheitsinn orientirt sich ewig an diesem Madonnenkopfe. Majestät und Zärtlichkeit, Fröhlichkeit und Ernst, süßes Spiel und hohe Trauer, Leben und Geist, alles ist in ihr zu einem Göttlichen Ganzen vereint."
    Geheime Zeichen, geheime Briefe
    Susette und ihr blondgelockter Lehrer, der sie in seinen Gedichten Diotima nannte, verstanden sich von Anfang an gut. Sie musizierten gemeinsam, unternahmen, als die Franzosen Frankfurt besetzten, mehrmonatige Reisen, spielten mit den Kindern im Gras - und zogen sich zu ausgedehnten "Lesestunden" in Hölderlins Zimmer zurück. Trotz des bald aufkommenden Getuschels in der Frankfurter Gesellschaft dauerte es anderthalb Jahre, bis der konfliktscheue Jakob Gontard seine Frau und den Hauslehrer bei einer dieser "Lesestunden" erwischte und Hölderlin an die Luft setzte. Susette unterstützte ihren Mann dabei – sie wollte vernünftig sein. Aber sie hatte die Rechnung ohne ihr Herz gemacht. Kaum war Hölderlin weg, wurde sie von trostlosem Schmerz zerrissen.
    "Ich muss Dir schreiben, Lieber! Mein Herz hält das Schweigen gegen Dich länger nicht aus. Ich ging zwei Tage nach deiner Abwesenheit in Dein Zimmer, wollte mich recht ausweinen und fand noch einen kleinen weißen Knopf und ein hartes Stück Schwarzbrot, ich trug das alles wie Reliquien bei mir."
    Es folgen kurze Begegnungen an verschwiegenen Orten, man wird entdeckt, tauscht Briefe durch die Gartenhecke, verabredet Geheimzeichen, ein Taschentuch, ein Stock, ein geöffnetes Fenster.
    "Bald sah ich Dein Gesicht durch die Büsche. Es war, als hätte ich Dich umarmen wollen, und ein Schatten wärest Du geworden, dieser liebe Schatten hätte mich noch trösten können."
    Ein Gedicht bewahrt ihre Geschichte auf
    Nach eineinhalb Jahren versiegte die ergreifende Liebeskorrespondenz, von der 17 Briefe Susettes und einige Entwürfe Hölderlins erhalten sind. In einem ihrer letzten Briefe schrieb Susette:
    "Leb wohl! Nahe oder ferne, doch immer bey mir. Und so mit mir verwebt bist Du, dass nichts Dich von mir trennen kann."
    Drei Jahre später, 1803, starb Susette Gontard an den Röteln. Sie hatte sich bei ihren Kindern angesteckt. Hölderlin lebte, zunehmend geistig verwirrt, bis 1843. Das Schicksal der beiden ist in seinem Gedicht "Lebenslauf" aufbewahrt:
    "Hoch auf strebte mein Geist, aber die Liebe zog Schön ihn nieder; das Laid beugt ihn gewaltiger; So durchlauf ich des Lebens Bogen und kehre, woher ich kam."