"Seien Sie nicht neugierig; das ist ein Punkt, den ich besonders bei Ihnen befürchte. Vermeiden Sie jede Art von Vertraulichkeit mit kleinen Leuten. Fragen Sie in allen Fällen Herrn und Frau Noailles ... verlangen Sie, daß sie Ihnen aufrichtig sagen, ob es irgend etwas in Ihrem Benehmen, in Ihren Reden oder in anderen Punkten zu korrigieren gibt."
Diese und viele weitere Verhaltensregeln gab Kaiserin Maria Theresia ihrer Tochter Maria Antonia mit, in einem Abschiedsbrief, den sie ihr am 21. April 1770 überreichte - kurz bevor das zweitjüngste ihrer 16 Kinder Wien verließ, um dem französischen Kronprinzen zugeführt zu werden. Marie-Antoinette, wie sie jetzt hieß, war vierzehneinhalb Jahre alt. Reif genug, um ihren Auftrag zu erfüllen: das Königshaus der Bourbonen fortzupflanzen und damit das Bündnis, das Österreich und Frankreich nach langer Gegnerschaft zustande gebracht hatten, zu festigen.
Der Straßburger Student Goethe als Zaungast
Marie-Antoinettes 24-tägige Brautfahrt von Wien nach Paris war dank der 235 Begleitpersonen in 57 meist sechsspännigen Kutschen und Wagen ein gewaltiges Spektakel, perfekt organisiert und geplant.
"Ein Wagen, ein Callesch für den Fürsten von Starhemberg samt einer Trage. Ein Wagen für den Hof Cammer Conceptisten von Mayer, Hof Cameral Controlor und einen Liquidatorn. Wagen für die Noble garde. Eine Kallesche für den K.K. Kammer Fourier. Eine Kallesche für den K.K. Hof Fourier …"
Für das Volk war die Teilhabe an einer königlichen Hochzeit ein einmaliges Vergnügen. Aber wie heute im Olympiageschäft hatte auch damals die Ehre, Ort eines populären Events zu sein, ihren Preis: Gemeinden mussten Straßen erneuern, Quartiere und Lebensmittel organisieren, Pferde bereithalten; Klöster wurden für die Stippvisiten hoher Herrschaften renoviert, sogar Ehrenpforten für einen feierlichen Einzug des Trosses errichtet, Tanz und Theater für die Hofgesellschaft organisiert. Die Stadt Straßburg leuchtete im Licht einer kunstvollen Illumination, was ein Student namens Johann Wolfgang Goethe nie vergaß:
"Eine merkwürdige Staatsbegebenheit setzte alles in Bewegung und verschaffte uns eine ziemliche Reihe Feiertage. Marie Antoinette, Erzherzogin von Österreich, Königin von Frankreich, sollte auf ihrem Weg nach Paris über Straßburg gehen. Der schönen und vornehmen, so heiteren als imposanten Miene dieser jungen Dame erinnere ich mich noch recht wohl."
Partygirl im absolutistischen Frankreich
Nunmehr auf französischem Boden, wurde die hübsche und charmante Dauphine vor dem Straßburger Münster von einem jungen Geistlichen begrüßt, Prinz Louis Rohan - von dem Mann also, der als Kardinal Rohan 15 Jahre später glauben sollte, mit einem sündteuren Schmuck die Königin Marie-Antoinette zu einem nächtlichen Rendezvous locken zu können. Die dafür gesponnene Intrige wuchs sich zum Skandal aus, zur "Halsbandaffäre", und untergrub das Ansehen der Monarchin endgültig.
Viel hatte dazu allerdings nicht gefehlt. Aus dem allzu jungen Mädchen ohne besondere Begabung, das man an den intrigenzerfressenen Hof von Versailles verpflanzt hatte, unter ein höfisches Diktat, das Freiheit nicht zuließ, an die Seite eines linkischen Burschen, der im Bett jahrelang mit seiner Gemahlin nichts anfangen konnte - aus diesem Mädchen war eine unbedenklich feierfreudige Verschwenderin geworden. Als Partygirl porträtierte sie folgerichtig die Regisseurin Sofia Coppola in ihrem Film "Marie Antoinette".
Marie-Antoinettes Mann, der völlig ungeeignete Ludwig XVI., wäre ein guter Handwerker geworden. Als König hatte er es mit Frankreichs langjähriger Finanzkrise zu tun, konnte aber die nötigen Reformen nicht gegen den hochprivilegierten Adel durchsetzen. Unverfroren bediente der sich aus dem Staatsschatz: Mit 400.000 Livres Staatsgeld wurden zum Beispiel allein die Schulden der Gräfin Polignac bezahlt, Marie-Antoinettes besonderer Freundin.
Das Volk hasste "die Österreicherin"
Trotz vieler Warnungen drang die Erkenntnis, wie sehr das Volk sie, "die Österreicherin", hasste, nur langsam in ihre unfassbar begrenzte Welt: Versailles. Die Pariser Ballsäle. Ihr irrwitzig teuer umgestaltetes Schlösschen Trianon. Das große Frankreich lernte die Königin nie kennen. Ihr Mann schaffte es immerhin einmal nach Cherbourg, ans Meer. Da wäre Marie Antoinette gern mitgefahren, aber sie durfte nicht. Ihre Brautfahrt war und blieb ihre einzige große Reise.