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Vor 30 Jahren
Anwaltsserie "Liebling Kreuzberg" startet in der ARD

Das Gericht ist ein beliebter Schauplatz in zahllosen Krimis. Das deutsche Fernsehen hat dem schon früh Rechnung getragen: "Das Fernsehgericht tagt" in der BRD, "Der Staatsanwalt hat das Wort" in der DDR. Am 17. Februar 1986 begann in der ARD eine Serie, die Realismus und Unterhaltung verbinden sollte: Liebling Kreuzberg.

Von Beatrix Novy |
    Berlin: In Folge 6 der V. Staffel von " Liebling Kreuzberg " begibt sich Manfred Krug als Rechtsanwalt Liebling in die Spur, um herauszufinden, wie Aktfotos seiner Mandantin Tanja Raue (gespielt von Natascha Bonnermann) in die Zeitung gelangt sind.
    In Folge 6 der V. Staffel von " Liebling Kreuzberg " deckt Manfred Krug als Rechtsanwalt Liebling auf, wie Aktfotos seiner Mandantin Tanja Raue (gespielt von Natascha Bonnermann) in die Zeitung gelangt sind. (picture-alliance / dpa / Nestor Bachmann)
    Sich hinziehende Schilderungen einer über die zulässige Grundstücksgrenze ragenden Backsteinmauer. Nuschelnde Zeugen. Vertagung, wenn es gerade ein bisschen spannend wird. Oder Vertagung, kaum dass man sich hingesetzt hat. Ja, die Realität einer Gerichtsverhandlung ist meilenweit von ihren medialen Inszenierungen entfernt. Was aber jenseits von Krawallshow oder halbdokumentarischem Lehrstück möglich ist, zeigte die ARD seit dem 17. Februar 1986: mit der Serie "Liebling Kreuzberg".
    Ideale Besetzung des Anwalts Liebling - Manfred Krug spielt sich selbst
    "Liebling Kreuzberg", das war Robert Liebling, Rechtsanwalt im Kreuzberger Kiez, dank seiner Zulassung als Notar angenehm wohlsituiert. Ein bekennender Bonvivant mit Schlapphut, Zigarre und Berliner Schnauze, erfunden vom Schriftsteller Jurek Becker für seinen alten Freund Manfred Krug.
    "Becker war wenn ein Meister im Dialog, und er war ein Meister im witzigen, geistreichen Dialog."
    Manfred Krug hatte, wie Becker selbst, der DDR Adieu gesagt und war dabei, mit seinem brachialen Charme Westdeutschland zu erobern. Die Rolle des Rechtsanwalts Liebling half ihm dabei.
    Liebling: "Wissen Sie, mit der Frage hab ich mich oft beschäftigt: wie werde ich ein Staatsanwalts-Ekel los?"
    Da gibt es Methoden. Zum Beispiel sich taktisch durch eine ohnehin öde Verhandlung wegen Scheckbetrugs zu filibustern und Gegner wie Richter mit immer derselben Frage zu ermüden. Jurek Beckers Szenen vermitteln neben der subtilen Spannung und kauzigen Dramatik des Justizalltags durchaus auch seine Langeweile. Dass diese seriöse Sichtweise, gestützt auf solide juristische Beratung, nicht allzu authentisch wird, dafür sorgt erstens der Hauptdarsteller: Manfred Krug, der wie üblich sich selbst spielt.
    "Paula ist im Krankenhaus!
    Liebling: In welcher Angelegenheit?
    Das war ein Scherz. Was ist denn passiert?
    Senta, weinend: Raubüberfall!
    Raubüberfall!
    Liebing: Ist sie Opfer oder Täter?"
    Obligatorischer Pausensnack - ein Wackelpudding
    Zweitens: ein Mix aus mindestens zwei Fällen pro Folge, die Liebling und sein Sozius übernehmen. Außerdem Lieblings Privatleben als treuloser Liebhaber und Vater einer quengeligen Tochter; und natürlich der familiäre Blick in die Kanzlei: Liebling, die Füße auf dem Schreibtisch und Götterspeise löffelnd,
    "Ich hab mir damals überlegt: womit könntest du dich da kennzeichnen, und da bin ich auf den Wackelpudding gekommen, der steht nicht bei Becker."
    Betreut wird Liebling von den Anwaltsgehilfinnen Paula und Senta, der frechen Kröte.
    "Senta: Wat soll ick denn tun?
    Liebling: Da muss ein Kaufvertrag Silbermann rumliegen! Den brauch ich.
    Senta: Wo soll'n der stehn, bitte?
    Liebling: Ich hab ihn schon."
    Unterhaltungsmix aus Bilderbuch-Typen, dem Klischee des Kiez, Langeweile und Spannung
    Senta, die grundsätzlich nur widerstrebend die Kopfhörer abnimmt, wenn der Chef spricht, ist ein flippiges Gewächs aus dem Kreuzberg der 80er Jahre. Vom Personal des Berliner Typen-Bilderbuchs lebt die Serie: frühkriminelle Früchtchen, alt-linkes Establishment, Dealer, rassistische Taxifahrer, türkische Geschäftsleute mit Ehrenrettungs-Problemen.
    "Ich bin Anwalt in diesem Recht, verstehen Sie, in diesem Recht. Und ich halt mich an die Spielregeln, die in diesem unserem Lande gelten, und wenn ihr hier lebt, müsst ihr euch auch daran halten."
    Allen geigt der nie zartfühlende, gar nicht immer sympathische Liebling die Meinung. Erst der enorme Erfolg der ersten Staffel in der Regie von Heinz Schirk ermöglichte es Jurek Becker, mit den Regisseuren Werner Masten, später Vera Loebner, auch unangenehmere politische Themen anzugehen, zum Beispiel polizeiliche Übergriffe. Aber ob ein Preisboxer verteidigt werden musste, der Hooligans verprügelt oder eine Hochstaplerin, die als Ärztin praktiziert hat - immer blieb Becker, der DDR-Dissident, nah an der unpathetischen Realität des Rechtsstaats, der Gerechtigkeit nur annäherungsweise herstellen kann. Beckers juristischer Berater schrieb:
    "Er wollte seinem Publikum vielmehr auf unterhaltsame Weise unterjubeln, dass Verfahrensrechte ihren ganz eigenen Wert besitzen, dass es im Strafprozess immer nur eine relative Wahrheit gibt und dass es manchmal kein Drama ist, wenn ein Schuldiger nicht verurteilt wird."
    58 Folgen vor und nach der Wende: In dieser Zeit wandelte sich das Stadtporträt, von Kreuzberg ging es nach Mitte – das Drehbuch der vierten Staffel schrieb Ulrich Plenzdorf. Das Leben des Liebling nahm weiter seinen Gang, mit neuen Freundinnen und neuen Facetten der Schicksale, die hinter Betrug, Drogenhandel, Meineid usw. stehen. Und doch verlor die Serie in den 90er Jahren an Schwung - vielleicht, weil sich auch in der unendlichen Vielfalt menschlicher Irrungen die Muster wiederholen.
    Um ein Ende zu machen, gab es im Fall des notorisch bindungsunwilligen Liebling nur zwei Möglichkeiten: Tod oder Heirat. Er entschied sich für letzteres.