"Stasi raus, Stasi raus!"
Montag, 15. Januar 1990, gegen 17.00 Uhr. Es ist die Endphase der DDR. Tausende Demonstranten finden sich vor der Zentrale des früheren Ministeriums für Staatssicherheit im Ost-Berliner Stadtteil Lichtenberg ein: einst ein streng abgeriegelter militärischer Komplex.
"Das ganze Areal besteht insgesamt, wenn man jetzt die verschiedenen Bereiche mit einbezieht, nur in Lichtenberg, aus über 50 Einzelgebäuden, in denen an die 7000 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz hatten. Hinzu kommen noch die Wachmannschaften, die Verpflegung, Kantine und so weiter und so fort. Auch der medizinische Dienst. Der Staatssicherheitsdienst hatte ja auf dem Gelände ein eigenes kleines Krankenhaus, aber 7000 Mitarbeiter hatten hier ihren Schreibtisch", sagt Christian Halbrock.
Er ist heute wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Sein Büro befindet sich in einem dieser ehemaligen Stasi-Gebäude. Halbrock, Sohn eines Pfarrers, war in der DDR der Zugang zum Abitur verwehrt worden. Im Januar 1990 gehörte er zu den Demonstranten, die einem Aufruf der Bürgerbewegung "Neues Forum" gefolgt waren: "Kommt zur Stasi-Zentrale, kommt in die Ruschestraße, kommt in die Normannenstraße, bringt Steine, Kalk und Mörtel mit. Wir mauern die Stasi ein, damit endlich dort nicht weitergearbeitet werden kann."
Akten sollten verschwinden
Das Ministerium für Staatssicherheit: - kurz MfS oder Stasi - hatte seit seiner Gründung 1950 als wichtigste Machtstütze der SED Millionen DDR-Bürger überwacht und eingeschüchtert, drangsaliert und gequält: oppositionelle Schriftsteller ebenso wie kirchliche Mitarbeiter oder kritisch denkende Jugendliche. Kurz vor dem Fall der Mauer hatte Stasi-Minister Erich Mielke einen Befehl zur Vernichtung der Akten erlassen. Von Rauchwolken alarmiert, waren seit Anfang Dezember 1989 in mehreren Bezirksstädten Demonstranten zu den Stasi-Arealen geeilt, um die Vernichtung zu verhindern und eine Aufklärung der Stasi-Verfolgungen zu fordern. So auch in Berlin-Lichtenberg, der letzten besetzten Dienststelle.
"Einige haben tatsächlich angefangen, Steine schon auf diese Pflastersteine zu legen und Mörtel und angefangen zu mauern. Es gab auch schon die ersten, die rübergeklettert sind über das Tor, und drinnen waren die Vertreter der Bezirkskomitees, Auflösungskomitees."
Das DDR-Fernsehen unterbrach an diesem Tag mehrfach seine Sendung. Der Zentrale Runde Tisch, der auch über die Auflösung des "Amtes für Nationale Sicherheit" beriet, wie das MfS seit November 1989 offiziell hieß, beendete seine Sitzung. Angehörige der Opposition wie Konrad Weiß von der Bürgerbewegung "Demokratie jetzt" riefen zur Besonnenheit auf: "Wir appellieren an alle Bürgerinnen und Bürger, die Ergebnisse unserer friedlichen Revolution nicht auf das Spiel zu setzen. ... Keine Gewalt. Ich bitte Sie: keine Gewalt."
Gegen 17.30 Uhr öffnete sich das Haupttor in der Ruschestraße von innen. Die aufgebrachten Menschen strömten nicht direkt zum Dienstsitz des gefürchteten ehemaligen Stasi-Ministers Erich Mielke, sondern zum Versorgungstrakt: Reisebüro, Friseur, Läden. Nur dort brannte Licht.
Die eigene Akte und Rindfleisch
Ein damaliger Reporter fragte: "Was haben Sie da gefunden?"
Frau: "Na, Spargel und Rindfleisch, bestes Rindfleisch, Filet, alles. Die leben ja wie die Maden im Speck."
Frau: "Und so viel, was es für uns nie gibt, wonach wir stehen können und kriegen Sie nie zu kaufen."
Es kam zu Plünderungen und Verwüstungen.
"Ich will meine eigene Akte finden, das ist erst mal der Sinn der Sache hier. Ich will wissen, was steht in meiner Akte drin."
"Das ist unfassbar. Über jeden und alles ist hier scheinbar was aufgeschrieben und festgehalten."
Allein in der Ost-Berliner Zentrale wurden an die 44 Kilometer Akten sichergestellt, darunter Personendossiers, Gerichtsakten, sogenannte Operative Vorgänge zur Überwachung missliebiger Personen und säckeweise vorvernichtetes Material.
Am 30. Juni 1990 hörte das Ministerium für Staatssicherheit de facto auf, zu existieren. Das Recht Betroffener auf Akteneinsicht ist seit Dezember 1991 durch das Stasi-Unterlagen-Gesetz geregelt.