"Jeder hat das gleiche Recht auf die gleiche Meinung. Zwischen dem Bürger und dem Staat ist ein ständiges Geben und Nehmen. Ich gebe Ruhe und der Staat nimmt mir die Sorge um die Ordnung. Ich öffne dem Staat mein Herz, er öffnet mir meine Briefe dafür. Ich beherrsche mich. Und er mich auch. Kritik ist überall angebracht, und zwar ganz oben, damit keiner rankommt."
Einen "Besuch bei Freunden" nannte Dieter Hildebrandt seinen Auftritt in Leipzig am 10. Januar 1985, bei dem er als erster westdeutscher Kabarettist auf einer ostdeutschen Bühne auftreten durfte. Zusammen mit Werner Schneyder, der als Österreicher schon seit einigen Jahren Gastspiele in der DDR geben durfte, war Hildebrandt anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Kabarettensembles Pfeffermühle von seinen ostdeutschen Kollegen eingeladen worden. Von Honecker persönlich genehmigt, wurden 1.500 Karten für fünf Vorstellungen im freien Verkauf angeboten. Auf der Bühne und in Interviews bemühten sich Hildebrandt und Schneyder, diesmal - ihren Gepflogenheiten zum Trotz - um moderate Töne.
"Wir wollen natürlich auch die Kollegen von der Pfeffermühle nicht in eine unsinnige Situation reiten, und dass wir hier so plötzlich auf den Putz hauen, das ist doch unsinnig. Wir wollten hier ein gutes satirisches Programm machen."
"Wir betreiben nicht Systemkritik. Wir sind keine Oberlehrer und wir waren das nie. Wir sagen nie, das ist an diesem System besser oder das ist an diesem System schlechter. Wir denken nicht daran."
Aktuelle Themen und gemeinsame Vergangenheit
"Zugabe Leipzig" hatten die beiden Satiriker ihr Programm genannt, in dem es um aktuelle Themen wie Ökologie, Aufrüstung oder Zensur ging, und in dem sie der gemeinsamen deutschen Vergangenheit aus östlicher und westlicher Perspektive satirisch gerecht werden wollten.
"Goethe. Wem gehört Goethe? Ja, es gibt den Ost-Goethe, West-Goethe. Aber nun hat er ja in Frankfurt gedichtet und in Leipzig und in Weimar. Jetzt hat er den Faust überall geschrieben. Jetzt gibt's noch - der muss auch geteilt werden - den Faust-Ost, Faust-West. Also es geht dann weiter. Wem gehört Martin Luther? Das ist ganz klar. Der, der die Thesen angenagelt hat, das ist eurer. Der Antisemit gehört uns. Wem gehört Brecht? Auch klar, den Brechtschen Erben. Applaus. Aber: Wem gehört Adolf Hitler? Ja, ist klar, ne. 99 Prozent der Leute, die ihn damals gewählt haben, die wohnen ja jetzt alle bei uns, alle bei uns. Eigentlich gehört er ja dem Schneyder."
Rückblickend haben sowohl Werner Schneyder als auch Dieter Hildebrandt immer wieder betont, dass dieses gemeinsame Gastspiel in Leipzig zu den Höhepunkten ihrer fulminanten Kabarettistenkarrieren gehörte. Als "Abenteuer DDR" hatte Hildebrandt es immer bezeichnet und vor allem genossen, dass das Publikum viel sensibler auch auf versteckten Humor reagierte als in der Bundesrepublik.
Für Werner Schneyder war der Auftritt vor allem eine Widerlegung der Honecker-Worte, Sozialismus und Kapitalismus seien wie Feuer und Wasser. Auch bei späteren Besuchen in Leipzig, wie zum Beispiel bei der Ausstellungseröffnung über "Humor und Politik in Deutschland", hat er gerne von diesem historischen Auftritt, der Kabarettgeschichte geschrieben hat, erzählt.
"Meine Lieblingsstelle ist: Hildebrandt sagt, die Missstände in der DDR? Ich sage: Es gibt in der DDR keine Missstände. Sagt er: Was denn? Sag ich: Gesellschaftliche Widersprüche. Sagt er: Was sind gesellschaftliche Widersprüche? Sag ich: Missstände. Und dann sah ich unten ein paar Uniformierte sitzen. Und die haben gar nicht gelacht."
Aufzeichnung des Auftritts dank Kabarettfan
Dass es eine Aufzeichnung dieses einzigen Gastspiels Dieter Hildebrandts in der DDR und somit eine CD von "Zugabe Leipzig" gibt, ist einem Mitarbeiter und Kabarettfan vom Sender Leipzig zu verdanken, der eine Kopie anfertigte, bevor er das Original an die Stasi aushändigen musste. Kurz nach der Wende hat die Stasi ihre Unterlagen über diese Aufführung vernichtet.
"Zugabe Leipzig, da musste man verreisen. Man lässt die Chance nicht aus, wenn man Nachbarn trifft."
Trotz aller Zurückhaltung Hildebrandts und Schneyders war ihr Humor der DDR-Führung offenbar scharf genug, um keine weiteren Auftritte westdeutscher Kabarettisten in ihrem Staat mehr zu genehmigen.
"Immer Hoffnung haben auf weitere Zugaben Leipzig."