Das Edikt, das Königin Isabella und ihr Mann Ferdinand auf dem Höhepunkt ihrer Macht unterzeichneten, beendete eine Epoche. Wenige Monate zuvor hatten die "Katholischen Könige" mit Granada die letzte maurische Bastion erobert. Damit künftig weder der Islam noch ein anderer Glaube die Einheit des christlichen Reiches gefährde, bestimmten sie:
"Alle Juden, die nicht konvertieren, werden aus dem Reich verbannt. Wir ordnen an, dass sie bis Ende Juli dieses Jahres mit ihren Söhnen, Töchtern und ihrer Dienerschaft das Land verlassen und niemals wagen sollen, zurückzukehren. Wer dagegen verstößt, wird mit dem Tod und der Beschlagnahmung seine Güter bestraft.“
Spaniens Juden hatten den Krieg gegen die Mauren mitfinanziert
Großinquisitor Tomás de Torquemada soll den Herrschern zu diesem radikalen Schritt geraten haben – wohl in der Annahme, dass die meisten sich taufen lassen würden. Für die Juden, die den Krieg gegen die Mauren teils mitfinanziert hatten, kam das Alhambra-Edikt überraschend.
Etwa 50.000 bis 100.000 Menschen verlassen das Land. Sie ziehen nach Nordafrika, ins Osmanische Reich, später nach Lateinamerika. Spanien verliert Gelehrte, Übersetzer, Literaten. Die spanischen Juden verlieren ihre Heimat. Die Sehnsucht danach bleibt. Die Schlüssel zu den Häusern in Toledo, Córdoba, Barcelona werden ebenso von Generation zu Generation weitervererbt wie Lieder, Gebete, Traditionen.
Die "Heiligkeit" des jüdischen Spanisch
Erst ab dem 19. Jahrhundert, nach der Abschaffung der spanischen Inquisition, sollten sich die Beziehungen zu den vertriebenen spanischen Juden Stück für Stück normalisieren. Das Alhambra-Edikt war zwar de facto seit 1869 außer Kraft. Offiziell zurückgenommen wurde es aber erst zum 500. Jahrestag der Vertreibung, am 1. April 1992. Für Solomon Gaón, den Präsidenten der sephardischen Gemeinden, der zwei Jahre zuvor mit dem renommierten Prinz-von-Asturien-Preis geehrt wurde, eine historische Wiedergutmachung.
„In keiner anderen Diaspora erschuf das jüdische Volk ein goldenes Zeitalter. Nur in Spanien galten die Juden nicht als ausländische Minderheit, sondern als wichtiger und gut integrierter Teil des Landes. Deshalb war es für sie so schmerzhaft, ein Land verlassen zu müssen, in dem sie fast 2.000 Jahre gelebt hatten. Nur vor diesem Hintergrund ist verständlich, warum die Sephardim der jüdisch-spanischen Sprache, dem Ladino, eine Heiligkeit zumessen, wie sonst nur dem Hebräischen.“
Wie sich Spanien mit Weltoffenheit schmückte
1992 erinnerte Spanien mit Dutzenden Gedenkfeiern, Ausstellungen, Konzerten an sein jüdisches Erbe. Für die noch junge Demokratie waren die Festakte - neben den Olympischen Spielen in Barcelona und der Expo in Sevilla - die Chance, sich als modernes, weltoffenes Land zu präsentieren. König Juan Carlos empfing den israelischen Präsidenten Haim Herzog und bat ihn um Verzeihung.
„Wie David Ben Gurion zu sagen pflegte: Die Geschichte mit ihren Erfolgen und Irrtümern lässt sich nicht einmal vom allmächtigen Schöpfer neu schreiben. Das müssen wir akzeptieren. Aber der Mensch lenkt jeden Tag sein Schicksal und versucht, seine Zukunft bestmöglich zu gestalten. Darin liegt seine geistige Größe.“
Erleichterte Einbürgerung seit 2015
Als Zeichen der Versöhnung ermöglichte Spanien 2015 den Nachkommen der sephardischen Juden die Einbürgerung. Wer nach spanisch-jüdischem Ritual geheiratet hat, Ladino spricht oder über seine Gemeinde die sephardische Abstammung nachweisen kann, darf spanischer Staatsbürger, spanische Staatsbürgerin werden – ohne den Pass seines Geburtslandes abgeben zu müssen. Für König Felipe, Juan Carlos‘ Sohn, endet damit endgültig die lange Zeit der Verbannung aus Sefarad. Er verkündete: "Ich möchte Euch heute sagen: Ihr seid wieder zu Hause. Ihr seid zurück in Eurer Heimat, seid für immer zurückgekehrt.“
Auf der Grundlage des Gesetzes haben über 78.000 Nachkommen der Sephardim die spanische Staatsbürgerschaft beantragt, etwas mehr als die Hälfte hat sie bereits erhalten.