"Wenn jemals die Geschichte von den Abenteuern eines Privatmannes es verlohnt hat, öffentlich bekannt gemacht zu werden … so ist das … mit diesem Bericht der Fall."
Mit diesen Worten beginnt die Vorrede zu einem Roman, der dem Namen seines Helden Weltruhm einbrachte: "Robinson Crusoe" heißt der jugendliche Abenteurer, der gegen den Rat seines Vaters zur See fährt, Schiffbruch erleidet und allein auf einer menschenleeren Insel in der Karibik landet. Das Buch war sofort nach seinem Erscheinen am 25. April 1719 eine Sensation.
"Wir sind hier im frühen 18. Jahrhundert, in einer Zeit, als das britische Kolonialreich größer und größer wird und das Interesse an diesen fernen Gebieten auch dementsprechend steigt", erklärt Oliver von Knebel-Doeberitz. Er lehrt englische Kulturwissenschaft an der Universität Leipzig.
Schauerlich-wilder Erlebnisbericht
Geschrieben hatte den "Robinson Crusoe" der in England als Journalist und Satiriker bekannte Daniel Defoe. Mit sicherem Instinkt für die Lust des breiten Publikums auf schauerlich-wilde Erlebnisberichte wandte er einen Kunstgriff an:
"Das Buch erschien nämlich als Tatsachenbericht und nicht als fiktionaler Roman, und damit war es für die Leser auch ein realer Bericht aus fremden Gestaden, und das hat die Popularität natürlich sehr begünstigt."
Der Sensations-Effekt war aber nicht der einzige Grund für den Erfolg des "Robinson Crusoe". Daniel Defoe war es gelungen, am Beispiel Robinsons Urängste des Menschen und Wege zu ihrer Umwandlung in fruchtbare Tätigkeit zu zeigen:
"Was an Robinson Crusoe so fasziniert, ist dieses so genannte Nullpunkt-Dasein, das heißt, das Zurückgeworfensein in die Natur als ganz zentrales Motiv."
Der Nullpunkt macht aus dem jugendlichen Abenteurer einen Helden der Vernunft: Robinson rettet vom Schiffswrack Proviant und Waffen, richtet sich eine gut gesicherte Behausung ein, baut Gerste an, züchtet Ziegen, führt Tagebuch, liest in einer vom Schiff geborgenen Bibel und denkt über sein Leben nach.
Begegnung mit dem Fremden
Anfangs quält er sich mit Selbstvorwürfen und betrachtet sein Schicksal als Strafe für den Ungehorsam gegenüber seinem Vater. Die Bibel lehrt ihn aber, Gott für sein Überleben zu danken. Sie gibt ihm Kraft, die Einsamkeit zu ertragen - bis er eine Entdeckung macht:
"Es war um die Mittagszeit, auf dem Weg zu meinem Boot, als ich eine riesige Überraschung erlebte: Der Abdruck eines nackten Menschenfußes am Strand, der klar und deutlich im Sand zu sehen war."
Oliver von Knebel-Doeberitz "Er kehrt panisch in seine Behausung zurück, er hält am Rande stehende Bäume für Feinde, und er beginnt mit einem unermüdlichen Ausbau seiner Festungsanlagen."
Sein erster Impuls ist, die Fremden – es handelt sich um Kannibalen - einfach zu töten. Dann aber kommt ihm der Gedanke, seine eigene Mordlust sei vielleicht auch nicht christlicher als das Treiben der Kannibalen und lernt einen von ihnen kennen. Er tauft ihn auf den Namen "Freitag" und unterrichtet ihn in englischer Sprache und christlichen Grundsätzen. Die beiden werden Freunde und retten sich schließlich nach England.
"Glaube an Dich selbst und gib niemals auf!"
"Die Popularität von 'Robinson Crusoe' ist ungebrochen, weil die Themen, auch heute noch genauso aktuell sind wie vor 300 Jahren. Das heißt: Was mache ich als Mensch, der sein Überleben absichern muss? Wie verhalte ich mich bei Gefahren, die ich nicht kenne? Wie gestalte ich die Begegnung mit dem Fremden?"
Daniel Defoe lebte von 1660 bis 1731. Er sollte Geistlicher werden, machte sich aber in jungen Jahren als Kaufmann selbständig und ging mehrfach bankrott. Erst mit Mitte Dreißig verlegte er sich auf ein Leben als scharfzüngiger Journalist, was ihm unter anderem auch einen Gefängnisaufenthalt eintrug. Sein Roman "Robinson Crusoe" dient bis heute immer wieder als Vorlage für Filme, Romane und Video-Spiele. Und angesichts der sozialen Netzwerke hat er eine ganz neue Symbolik bekommen.
"Er steht heute vor allem für die Welt des Prädigitalen. Wer heute offline ist, fühlt sich wie Robinson Crusoe auf der einsamen Insel, abgeschnitten von den Informationsströmen unserer Zeit."
Aber auch für Offline-Existenzen gilt, was man als Robinsons Motto bezeichnen könnte: "Glaube an Dich selbst und gib niemals auf!"