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Vor 350 Jahren
Apotheker Hennig Brand entdeckte den Phosphor

Es war ein Zufall: Vor 350 Jahren suchte der Apotheker und Alchemist Hennig Brand nach Gold und Ruhm. Stattdessen fand er eine leuchtende, kalte Substanz – Phosphor. Einer der Bausteine des Lebens, aber auch ein Stoff, mit dem später verheerende Verwüstungen angerichtet wurden.

Von Andrea Westhoff |
    Hennig Brand
    Hennig Brand in einer Gravur aus dem 19. Jahrhundert (picture-alliance / ©Bianchetti/Leemage)
    "Phosphorus mirabilis" – "Geheimnisvoller Lichtträger", so nannte der Mathematiker und Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz jenen 1669 entdeckten Stoff, der selbst dem kühlen Rationalisten wie Magie erschien.
    "Wer seine Natur nicht näher kennt,
    Der fürchtet im Dunkeln, daß er brennt;
    Indessen man kann ihn gefahrlos berühren,
    Von seinem Feuer ist nichts zu spüren."
    Magisches Denken und Handeln standen tatsächlich am Anfang der Phosphor-Entdeckung durch Hennig Brand.
    Die meisten wollten Gold machen
    Der Hamburger Apotheker hatte sich, wie so mancher seiner Zeitgenossen, der Alchemie verschrieben. Auch er suchte nach dem "Stein der Weisen", jener geheimnisvollen Substanz, die "unedle" Materialien in "höhere", wertvolle umwandeln sollte. Einige Alchemisten hofften, damit ein Allheilmittel herstellen zu können und ewiges Leben zu erlangen. Die meisten jedoch wollten Gold machen. Sie experimentierten mit allen denkbaren Naturstoffen. Über Hennig Brand etwa heißt es in der Allgemeinen Deutschen Biographie:
    "Er huldigte der Meinung, dass die veredelnde Kraft des menschlichen Körpers, welche Nahrungsmittel in Teile des Organismus verwandle, auch die materia prima erzeugen könne. Er wollte deshalb aus Urin einen Liquor darstellen, der Silber in Gold verwandle."
    Es gibt von Brand selbst keine Aufzeichnungen über seine Experimente, aber von dem einen entscheidenden Versuch berichtete er dem großen Gelehrten Leibniz in einem Brief; und der wiederum hat ihn für die Nachwelt festgehalten.
    "Man nimmt Harn und dampft ihn zur Sirupkonsistenz ab. Diesen füllt man in eine Retorte und destilliert ihn, bis alles Flüchtige verschwunden ist und bis rote Tropfen erscheinen."
    Brand versuchte, seine Entdeckung geheim zu halten
    Dieses "Oleum Urinae" destillierte Brand erneut, bis nur noch eine schwarze Masse übrig blieb, die er schließlich in einem verschlossenen Steingefäß 16 Stunden lang erhitzte.
    "Man erhält zuerst Dämpfe oder weiße Wölkchen, dann eine klebrige Masse, und zuletzt einen Körper von fester und dichter Konsistenz – und alles, was während der Arbeit herauskommt, ist außerordentlich leuchtend."
    Brand versuchte zunächst, die Entdeckung des "Geheimnisvollen Lichtträgers" geheim zu halten. Er glaubte ja immer noch, den "Stein der Weisen" gefunden zu haben. Doch bald gab es Gerüchte, und die ersten Konkurrenten eilten nach Hamburg, um ihm das Rezept zu entlocken. Einer war der berühmte Alchemist und Glasmacher Johannes Kunckel aus Wittenberg. Aber Brand wollte ihm nicht mal eine kleine Menge des Phosphors zeigen.
    "Ich hielte darum an, aber es war immer ein Aufschub nach dem andern."
    Geschickter stellte es der Kaufmann Johann Daniel Krafft an: Da Brand chronisch pleite war, gab er ihm 200 Taler für all seinen vorrätigen Phosphor, in der Hoffnung, damit selbst Gold machen zu können. Das klappte selbstverständlich nicht. Trotzdem wurde Krafft reich, indem er die magisch leuchtende Substanz verschiedenen Fürsten und Königen Europas vorführte.
    In Hamburg verlieren sich Brands Spuren
    Hennig Brand bekam – auf Vermittlung von Leibniz – 1678 eine Anstellung beim Herzog von Hannover, um Phosphor in größeren Mengen zu produzieren. Aber mit dem Entgelt von zehn Reichstalern pro Monat konnte er seine Familie nicht ernähren und kündigte, immer noch auf den Durchbruch als Goldmacher hoffend. In der Neuen Deutschen Biographie heißt es dazu nur lapidar:
    "Krank und völlig gebrochen kehrte er 1679 nach Hamburg zurück, wo sich seine Spuren verlieren."
    Erst im Rückblick wird die große Bedeutung seiner Entdeckung deutlich: Sie markiert den Übergang von der magischen Alchemie zur naturwissenschaftlichen Chemie. Denn Hennig Brand hat mit dem Phosphor ein chemisches Element gefunden, also einen reinen Naturstoff, der erst durch das Destillieren, Erhitzen und andere Labormethoden sichtbar und nutzbar geworden ist.
    "Die Lebenskraft, gesucht von Weisen der Welt ..." ... hatte Leibniz in seinem Gedicht geschwärmt. Tatsächlich ist Phosphor ein lebenswichtiger Baustein für Pflanzen, Tiere und Menschen: Er befindet sich in der DNA, in den Knochen, im Blut, in jeder Zelle.
    Der von Hennig Brand entdeckte selbstentzündliche – weiße – Phosphor hat die segensreiche Erfindung der Zündhölzer möglich gemacht – aber auch die verheerenden Verwüstungen durch Phosphorbomben.