"Wer geht so spät zu Hofe,
Da alles längst im Schlaf?
Im Vorsaal wacht die Zofe –
Schon naht der schöne Graf.
Er sprach: ‚Eh ich nach Frankreich geh,
Muss ich sie noch umarmen,
Prinzessin Dorothee.‘"
Da alles längst im Schlaf?
Im Vorsaal wacht die Zofe –
Schon naht der schöne Graf.
Er sprach: ‚Eh ich nach Frankreich geh,
Muss ich sie noch umarmen,
Prinzessin Dorothee.‘"
So sang man in den Gassen von Hannover, erzählt Theodor Fontane, der in seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" auch von der Romanze der "Prinzessin von Ahlden" berichtet. Eines Nachts im Juli 1694 wartete Sophie Dorothea, Gattin des Kurprinzen von Hannover, vergebens auf ihren Liebhaber, den schönen Grafen Königsmarck. Kein erklärendes Billet kam. Ängstlich erkundigte sie sich nach ihm - erfolglos. Mitten in Hannover war er spurlos verschwunden.
Dann wurde ihre Kammerjungfer verhaftet und verhört, in ihrem Zimmer fand man eindeutige Briefe des Grafen an die Prinzessin. Der Kurfürst ließ Sophie Dorothea ins Amtshaus von Ahlden schaffen, ein abgelegenes Gemäuer in der Heide, gesichert mit Graben und Zaun.
"Der Verlust von Königsmarck muss für eine aparte Sache gehalten werden, obschon die ganze Welt weiß, was die Glock’ geschlagen hat", schrieb ihre Schwiegermutter, die Kurfürstin, in einem Brief. Mordgerüchte brodelten.
Heute halten Historiker für sicher, dass Königsmarck, mit Steinen beschwert, an einer tiefen Stelle in der Leine lag. Dorthin befördert hatten ihn vier Höflinge, wohl im Auftrag des Kurfürsten. Wie mit Sophie Dorothea zu verfahren sei, war ein heikleres Problem.
"Wäre sie eine Kurtisane in Venedig geworden, würde sie allzeit glücklich gewesen sein", giftete die Herzogin von Orléans, bekannt als Liselotte von der Pfalz, eine Nichte der Kurfürstin. Schuld am Fehltritt der Prinzessin sei deren Mutter:
"Weiß diese Herzogin nicht, dass es den Männern keine Schande ist, Mätressen zu haben, aber wohl, Hahnreie zu sein, und Weiber sich derowegen nur tausend Unglücke an den Hals ziehen, wenn sie solches unterfangen!"
Das kam eben davon, dass man in Hannover leichtfertig "Mausdreck unter den Pfeffer gemischet."
Vom Bankert zur Prinzessin
Denn geboren war Sophie Dorothea unehelich, am 15. September 1666 – nach anderen Quellen am 10. September. Ihr Vater war der Welfenherzog Georg Wilhelm, ein Bruder des Kurfürsten. Ihre Mutter Eleonore d’Olbreuse stammte aus einfachem Landadel und war die Mätresse des Herzogs, bevor er sie trotz des Standesunterschieds heiratete und seine Tochter legitimierte. Vom Bankert zur Prinzessin avanciert, wurde Sophie als 16-Jährige mit ihrem Cousin Georg Ludwig verheiratet.
"Es ist eine bittere Pille, aber wenn sie mit 100.000 Talern vergoldet wird, macht man die Augen zu und schluckt sie hinunter", bemerkte ihre Schwiegermutter. Eine bittere Pille war es auch für die Braut, denn die Ehegatten waren sich gegenseitig zuwider. Dass Georg Ludwig eine Mätresse hatte, störte niemanden. Dass sich Sophie Dorothea das gleiche erlaubte, kam einem Verbrechen gleich, und nicht nur aus bigotter Doppelmoral. Denn, so die Herzogin von Orléans:
"Welchen Herrn findet man, so nicht Mätressen hat; sollten deswegen ihre Gemahlinnen auch so übel leben, könnte niemand sicher sein, dass die Kinder im Haus die rechten Erben wären."
Wo Herrschaftsrecht durch die Abstammung in der männlichen Linie legitimiert ist, darf kein Zweifel an der Vaterschaft entstehen. Für die Hannoveraner stand viel auf dem Spiel: Die Kurfürstenwürde hatte ihnen der Kaiser eben erst verliehen, und einige Reichsfürsten opponierten erbittert dagegen. Zudem hatten sie Hoffnung auf den englischen Thron, denn die Kurfürstin war eine Enkelin von König James I.
Man wusste lange von Sophie Dorotheas heimlicher Affäre und schwieg, um den Schein zu wahren. Doch dann wollte sie mit Königsmarck zusammenleben - da griff der Kurfürst ein. Nachdem der Graf beseitigt war, wurde das Prinzenpaar geschieden. Den Ehebruch gab der Hof niemals zu; offiziell hieß es nur, sie habe ihren Mann verlassen wollen. Aber die Welt, wie die Herzogin von Orléans, wusste wieder, "was die Glock’ geschlagen" hatte:
"Ich habe wohl gewusst, dass die Historie nicht wahr war. Was anderes als Desertion lässt sich gedenken, aber nicht sagen."
Isoliert und streng bewacht
Die Rechnung ging auf: Die Kurfürstenwürde wurde anerkannt, und 1714 bestieg Sophie Dorotheas Ex-Gatte den Thron von England; später folgte ihr Sohn. Ihre Tochter wurde die Mutter Friedrichs des Großen. Sophie Dorothea sah ihre beiden Kinder nie wieder. Ihr ganzes restliches Leben, 31 Jahre, verbrachte sie in Ahlden, isoliert und streng bewacht.