2. Januar 1669. Vor der Südküste Hispaniolas, dem heutigen Haiti. Ein Schiff nimmt Kurs auf die kleine vorgelagerte Insel Île à Vache. Es ist die "Oxford", ein prachtvoller Dreimaster, 40 Meter lang, 2.000 Tonnen schwer, mit 36 Kanonen und Munitionskammern randvoll mit Schwarzpulver gefüllt. An Bord: Piratenführer Henry Morgan. Mit 800 Männern unter sich und dem Kommando über zehn Schiffe, ist er unterwegs im Dienste der britischen Krone. Sein Auftrag: Die Vorherrschaft der Engländer in der Karibik zu sichern und den verhassten Spaniern das Leben schwer zu machen. Sie raffen dort Unmengen an geraubtem Gold und Silber.
Jetzt, in der Bucht von Île à Vache, bittet Morgan seine Getreuen zu sich, um den nächsten Raubzug zu planen. Bei den Piraten ist der 34-Jährige beliebt, denn er ist strategisch gerissen und als Anführer phänomenal erfolgreich.
Eine Explosion zerreißt die "Oxford"
Auf der "Oxford" lässt er Schweinehälften grillen und lädt zum Trinkgelage ein. Die Stimmung wird immer ausgelassener.
Da passiert es. Eine gewaltige Explosion zerreißt die Luft, Flammen schießen in die Höhe, das Schiff brennt, weitere Explosionen folgen. Schreie, Tumult, Panik. Auch die Schiffe neben der "Oxford" fangen Feuer. Das Meer färbt sich rot vom Blut der Leichen. Das, was einmal die "Oxford" war, versinkt auf den Grund des Meeres.
Haben Wachmänner ihren Beobachtungsposten an der Pulverkammer verlassen? Flog ein Funke hinein, als man die Kanonen zum Salut zündete? Man weiß es nicht. Doch die Folgen sind schrecklich. 350 Männer sterben. Von der Besatzung der "Oxford" überleben zehn, darunter Henry Morgan.
"Ich saß mit dem Rücken zum Fenster am Heck in der Kapitänskajüte und wurde von der ersten Druckwelle ins Meer getragen. Nur deshalb überlebte ich", erklärt er später. Für seine Anhänger ist das nur ein weiterer Beweis für seine Unbesiegbarkeit. Am Tag nach der Explosion plant Morgan mit den Überlebenden schon den nächsten Raubzug. Geblieben sind ihm fünfhundert Männer mit fünf Schiffen, sein Aufstieg geht ungebremst weiter.
Skurpellos und mit diplomatischem Geschick
Morgan wird vom Inselrat in Jamaika zum Admiral der dortigen englischen Flotte ernannt und bekommt das Oberkommando über 36 Schiffe. 1671 erobert er Panama, damals die größte Niederlassung der Spanier in Amerika. Doch als er nach Port Royal, dem Piratenstützpunkt an der Südküste Jamaikas, zurückkehrt, haben sich die politischen Verhältnisse verändert. Mit dem Friedensschluss zwischen Spanien und England ist die Piraterie strafbar geworden. Morgan, einst der gefeierte Freibeuter seiner Majestät, wird verhaftet und im April 1672 nach England gebracht. Die Spanier verlangen seinen Kopf. Doch mit diplomatischem Geschick entwindet er sich auch dieser Gefahr und nutzt seine alten Seilschaften. Die Wendung, die nun kommt, ist aberwitzig: Am 8. Januar 1676 wird Henry Morgan zum Vizegouverneur von Jamaika ernannt. Er soll die Stadt vor den Spaniern und vor Piraten schützen.
"Ich habe alle englischen und spanischen Piraten, derer ich habhaft werden konnte, hingerichtet, ins Gefängnis geworfen oder den Spaniern übergeben", brüstet er sich ohne Skrupel. Als umjubelter Nationalheld eilt er von Bankett zu Bankett und wird auch noch zum Ritter geschlagen. Nur vom Alkohol kann er nicht lassen.
Am 25. August 1688 stirbt Henry Morgan mit 53 Jahren an den Folgen seiner Trunksucht. Und bekommt auf dem Friedhof von Port Royal ein pompöses Staatsbegräbnis. Doch dieses Ende passt nicht zu dem Leben, das er geführt hat. Vier Jahre nach seinem Tod erschüttert ein gewaltiges Erdbeben Port Royal und reißt auch den Friedhof mit in die Tiefe. Bis heute liegen Henry Morgans Gebeine auf dem Meeresgrund - wie sein prächtigstes Schiff, die "Oxford", die nach jenem bizarren Saufgelage in der Karibik versank.