Es war ein unruhiger Sommer 1980 in Polen. Die Lebensmittelpreise waren erhöht worden, im ganzen Land kam es zu Warnstreiks. Auch die Kranführerin der Danziger Lenin-Werft, Anna Walentynowicz, unterstützte die Streikbewegung und engagierte sich für bessere Arbeitsbedingungen: "Auf den Arbeiterversammlungen habe ich unsere Rechte eingefordert. Es hieß immer: alles für die Arbeiter und für ihre Würde. Aber so war es nicht. Tatsächlich waren es die Parteifunktionäre, die alles bekommen haben."
Anna Walentynowicz war immer wieder Schikanen und Verfolgungen ausgesetzt. Im Sommer 1980 wurde sie strafversetzt und schließlich am 7. August 1980 aus politischen Gründen fristlos entlassen.
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer auf der Lenin-Werft. Es sollte die folgenreichste Kündigung im ganzen Ostblock werden. Ein Wort machte die Runde: Streik! Am 14. August 1980 traten rund 17.000 Werftarbeiter in den Ausstand. Mit dabei: Wojciech Bartok. "Das war eine Bewegung von unten. Als die Leute zur Arbeit kamen, haben sie sich organisiert, haben aufgehört, zu arbeiten und sind vor das Tor gegangen. Das Tor wurde geschlossen, kein Fremder wurde hereingelassen. Draußen standen die Soldaten, die Polizei und die Miliz, und die Arbeiter haben ihre Forderungen gestellt."
Eine Lawine brach los
Die erste Bedingung für die Aufnahme von Gesprächen mit der Werftleitung war: Anna Walentynowicz soll wieder eingestellt werden und an den Verhandlungen teilnehmen. Tags darauf annullierte der Werftdirektor ihre Entlassung.
Anna Walentynowicz: "Es war neun oder zehn Uhr morgens, da stand der Dienstwagen von unserem Direktor vor meiner Tür. Die Kollegen hatten gesagt, dass sie ohne mich nicht arbeiten würden. Da bin ich in den Wagen gesprungen und zurück auf die Werft gefahren."
Nun brach eine Lawine los, die zu einem gesamtpolnischen Aufbegehren gegen die kommunistische Herrschaft anwuchs. Aus dem Solidaritätsstreik für Anna Walentynowicz entwickelte sich ein Okkupationsstreik: Die Werftarbeiter verließen das Gelände nicht, damit es nicht wieder zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei kommen konnte, wie zehn Jahre zuvor bei den Arbeiterprotesten in Danzig.
Zum Vorsitzenden des Streikkomitees wurde der Elektriker Lech Wałesa gewählt. Je länger der Streik dauerte, desto politischer wurden die Forderungen: Streikrecht, Pressefreiheit, Freilassung politischer Gefangener, ein Denkmal für die mehr als 40 Todesopfer von 1970. Andere Betriebe schlossen sich den Danziger Werftarbeitern an, bis Ende August waren es 750 in ganz Polen. Unterstützt wurden die Streikenden von oppositionellen Intellektuellen, vom polnischen Papst Johannes Paul II. und der katholischen Kirche.
Forderung nach unabhängigen Gewerkschaften
Ein überbetriebliches Streikkomitee entstand. Bogdan Lis gehörte ihm als Stellvertreter Lech Wałesas an. "In Danzig waren es nicht nur ökonomische Gründe, weshalb es zum Streik kam. In einem kommunistischen Land wäre ein Streik, der von Anfang an einen politischen Charakter, aber kein starkes gesellschaftliches Streikpotential hinter sich gehabt hätte, auf der Stelle zerschlagen worden. Aber als unsere Kraft zunahm, kam es am Ende zu den 21 Forderungen, von denen schließlich die wichtigsten politischen Charakter hatten."
Die erste und wichtigste Forderung war die nach der Einrichtung freier, von der Partei und den Arbeitgebern unabhängiger Gewerkschaften. Die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei mit Edward Gierek an der Spitze war gezwungen, auf die Forderungen einzugehen. Am 31. August 1980 unterschrieben Lech Wałesa und der Vize-Premierminister Mieczysław Jagielski ein Dokument, das als "Danziger Abkommen" in die Geschichte einging. Es war die Geburtsstunde der unabhängigen Gewerkschaft "Solidarnosc".
Lech Wałesa: "Wir haben endlich unabhängige, selbständige Gewerkschaften. [Jubel] Wir haben das Streikrecht."
Im Herbst 1980 hatte die Gewerkschaft "Solidarnosc" bereits 10 Millionen Mitglieder. Ihre Gründung war ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum Ende des Kommunismus in Polen und im ganzen Ostblock.