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Vor 40 Jahren: Anschlag auf das Oktoberfest
Die Mär vom unpolitischen Einzeltäter

Am 26. September 1980 riss eine Bombe auf dem Münchner Oktoberfest 13 Menschen unmittelbar in den Tod, und verletzte Hunderte. Über Jahrzehnte galt es als unpolitische Tat eines verwirrten Einzelgängers. Inzwischen ist erwiesen, dass es ein rechtsextremer Terroranschlag war.

Von Philipp Schnee |
    "Das Sprengstoffattentat erfolgte, wie Sie alle wissen, am 26. September 1980 gegen 22:20 Uhr am Haupteingang zum Festplatz des Oktoberfestes in München. Das Tatwerkzeug war eine Bombe. Es ist davon auszugehen, dass die Bombe in einem Papierkorb in der Nähe des Haupteingangs gelegt worden ist."
    So der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann auf der ersten Pressekonferenz nach der Tat.
    Am Abend des 26. September 1980, kurz vor der Sperrstunde, sind viele Besucher des auch damals schon riesigen Volksfestes auf dem Weg nach Hause. Sie drängen zum Ausgang, als die Bombe explodiert. 13 Menschen sterben, über 200 werden teils schwer verletzt. Auch den ersten Journalisten vor Ort ist der Schock deutlich anzuhören:
    "22:40 Uhr, ein Bild des Grauens. Ich muss sagen, ich kann im Moment überhaupt nichts mehr sagen. Ich sehe nur hier, der ganze Eingang hier, der Boden, blutüberströmt. Schuhe liegen herum, Kopftücher, Trachtentücher ..."
    Beobachter sprechen von "kriegsähnlichen Zuständen". Ärzte und Helferinnen eilen zum Anschlagsort. Die Verletzten werden in die umliegenden Krankenhäuser gebracht.
    Der Radiojournalist Ulrich Chaussy recherchiert seit 1982 die Hintergründe des Anschlags: "Bis in die Nacht hinein ist der Tatort abgesucht worden von der Spurensicherung, und irgendwann in der Früh hat man also die Kehrmaschinen der Stadtreinigung dann drüber fahren lassen. 'The Show must go on.'"
    Franz Josef Strauß bezichtigt Linksterroristen
    Das Fest geht am nächsten Tag weiter. Noch am Tatabend eilt der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß zum Ort des Anschlags. Und macht den damaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum, FDP, indirekt für das Attentat mitverantwortlich. Wenige Tage später stehen die Bundestagswahlen an. Am Tatort kritisiert Strauß das in seinen Augen zu laxe Vorgehen der Bundesregierung gegen Linke, Baums Dialogbereitschaft mit RAF-Aussteigern. Dazu Ulrich Chaussy: "Der Kandidat der Union, Franz Josef Strauß, ist leider Gottes der Versuchung erlegen, diesen Anschlag, über den noch niemand, Strauß einbegriffen, irgendetwas wusste, in den Wahlkampf zu ziehen."
    Umfeld der "Wehrsportgruppe Hoffmann"
    Doch am Morgen nach dem Anschlag wird der Täter identifiziert, der die professionell gebaute Bombe in den Papierkorb legte und bei der Explosion selbst ums Leben kam: Gundolf Köhler, Geologiestudent aus Donaueschingen, ein Rechtsextremer mit Verbindungen zur im selben Jahr verbotenen "Wehrsportgruppe Hoffmann".
    Ermittler versteifen sich auf Einzeltäter-Theorie
    Obwohl es laut Zeugenaussagen durchaus Mittäter gegeben haben könnte, konzentrieren die Ermittler sich bald auf Köhler als Einzeltäter. Das ermittelte Motiv: Probleme mit Mädchen und an der Universität, soziale Isolation. Eine scheinbar unpolitische Tat. Dazu Werner Dietrich, Anwalt von einigen der Überlebenden des Anschlags:
    "So steht es im Abschlussbericht Mai '81, das ist natürlich für die Ermittlungsbehörden auch das Bequemste. Und das ist auch für die politische Spitze, die da sicherlich mitgemischt hat, das Einfachste."
    Werner Dietrich kämpft seit fast 40 Jahren um Aufklärung und ist damit längst selbst Teil der Geschichte des Oktoberfestattentates. 2014 erreichte Dietrich, dass die Bundesanwaltschaft neu ermittelte. Die Tat, erklärt die Bundesanwaltschaft schließlich 2020, war ein rechtsextremistisch motivierter Terrorakt. Gundolf Köhler wollte die Bundestagswahl beeinflussen, heißt es heute offiziell. Auf Mittäter oder Komplizen hat die Bundesanwaltschaft keine Hinweise gefunden.
    Ein Sarg wird nach dem Bombenanschlag auf dem Münchener Oktoberfest am 26.09.1980 vom verwüsteten Tatort weggetragen. Die Bombe befand sich vermutlich in dem Papierkorb an einem Verkehrsschild rechts im Hintergrund. 
    Matthias Dell - Wer war Gundolf Köhler?
    Es gibt Unterschiede zwischen linkem und rechtem Extremismus. Das zeige sich schon an der Erinnerungskultur, findet Kolumnist Matthias Dell
    Werner Dietrich lobt diese Ermittlungen dennoch ausdrücklich. Anders als 1980 sei Hinweisen und Spuren gründlich und ergebnisoffen nachgegangen worden. Nach mehreren Jahrzehnten sei nicht mehr alles sauber juristisch nachweisbar. Aber er ist weiterhin überzeugt:
    "Er war nicht Alleintäter. Ich denke, es würde sich heute noch lohnen, das Umfeld noch mal genauer unter die Lupe zu nehmen."
    Auf dem Neuen Friedhof in Offenbach das erste Opfer des Anschlags von Hanau beigesetzt.
    Rechtsterrorimus in Deutschland - Zeit für einen anderen Blick
    Von Rostock-Lichtenhagen über NSU und Oktoberfest-Attentat bis hin zum Mord an Walter Lübcke: Rechter Terrorismus ist in Deutschland keine Ausnahmeerscheinung. Alleine 229 Morde mit rechtsextremen Motiven verzeichnen Forscher seit 1971. Trotzdem wurde Rechtsterrorismus lange falsch eingeschätzt.
    Ulrich Chaussy betont die politischen Langzeitfolgen: "Diese Art von Ermittlungen, wie sie in den 80er-Jahren geführt worden sind, also, dass man eben Rechtsterrorismus vor allem als ein minderes Problem von ein paar durchgeknallten Einzelgängern anzusehen hat, hat uns einfach ein paar Jahrzehnte gekostet, diese Gefahr wirklich ernst zu nehmen und entsprechend darauf zu reagieren."
    Immerhin: Nachdem die Tat inzwischen als politisch motiviert eingestuft wurde, könnte es bald eine angemessene Entschädigung für die Überlebenden geben.