Archiv

Vor 40 Jahren
Die deutsche Premiere der Fernsehserie "Holocaust"

Die deutsche Erstausstrahlung der US-Serie "Holocaust" erzielte Rekordeinschaltquoten. Die Geschichte einer jüdischen Familie, die durch das NS-Regime ermordet wird, bewegte besonders das junge Publikum. Die Serie erschuf ein breites Bewusstsein für den Völkermord an den Juden, erntete aber auch Kritik.

Von Otto Langels |
    Das Bild zeigt eine Szene aus der US-amerikanischen Fernsehserie "Holocaust", in der deportierte Juden auf dem Weg ins Konzentrationslager durch den Schnee gehen.
    Deportation ins Konzentrationslager: Eine Szene aus der US-Fernsehserie "Holocaust" von Marvin Chomsky (picture-alliance / dpa)
    "Ich trinke auf das glückliche Brautpaar, auf Inga Weiss, geborene Helms, das neue Mitglied unserer Familie, und auf meinen Sohn Karl." - "Auf das glückliche Brautpaar."
    Mit dieser Szene beginnt der erste von vier Teilen der amerikanischen Fernsehserie "Holocaust". Erzählt wird die fiktive Geschichte der jüdischen Arztfamilie Weiss aus Berlin während der NS-Zeit. Kurz nach der Ausstrahlung in den USA im Jahr 1978 beschloss der Westdeutsche Rundfunk, die Serie anzukaufen; eine umstrittene Entscheidung: Soll und darf man die Verfolgung und Ermordung der Juden als populäre Fernseh-Unterhaltung anbieten? Die Tageszeitung Die Welt schrieb seinerzeit:
    "Für ein solches dubioses Vergnügen blättert der WDR auch noch Millionen hin. Der Fall ist noch schlimmer, als es auf den ersten Blick schien. Die Verantwortlichen gehören in die Wüste geschickt."
    ARD verzeichnete Rekordeinschaltquoten
    Doch als am 22. Januar 1979 der erste Teil von "Holocaust" in allen dritten Fernseh-Programmen der ARD lief, verzeichneten die Rundfunkanstalten Rekordeinschaltquoten. Zwischen zehn und fünfzehn Millionen Deutsche aller Altersgruppen sahen die vier innerhalb von fünf Tagen ausgestrahlten Folgen. Die Serie traf den Nerv des Publikums, die Funkhäuser registrierten 30.000 Anrufe. Reinhard Heitzmann war damals beim Sender Freies Berlin für die Zuschauerbetreuung zuständig.
    "Mein persönlicher Eindruck: etwa 80 % der Anrufe waren positiv. Gerade die Altersgruppe von 18 bis 35 war ernst, erschüttert und verstand nicht, dass keiner gegen das Naziregime eingeschritten ist. Andere brachten es nicht fertig, ihren Kindern die Wahrheit zu sagen, sie sagten, was sollen die dann von den Großeltern jetzt denken, wenn das so gewesen ist."
    "Mama, was ist passiert?" - "Großvater wurde zusammengeschlagen und abgeführt, fast alle Geschäfte in der Straße wurden demoliert."
    Täter erhielten ein Gesicht
    Die Serie illustriert am Beispiel der Familie Weiss die fortschreitende Radikalisierung des NS-Regimes. Parallel dazu zeigt der Film den Aufstieg des Juristen Erik Dorf, der sich an der Seite des Gestapochefs Reinhard Heydrich an den Massenmorden beteiligt.
    Die Täter, vor allem aber die Opfer erhielten durch die Personalisierung ein Gesicht. Kein anderer Film brachte so viele Menschen dazu, sich mit den NS-Verbrechen zu beschäftigen. Mehr als 12.000 Zuschauer schrieben an die Fernsehsender; unter die vorwiegend positiven Stimmen mischten sich aber auch antisemitisch gefärbte Kommentare:
    "Der Film hat fertiggebracht, was 1.000 Geschichtsbücher nicht fertiggebracht haben. Ein großer Teil unserer Bevölkerung setzt sich jetzt mit dem dunkelsten Punkt unserer Geschichte auseinander. Das unablässige Bemühen der Juden, den Schmutz der Vergangenheit nach oben zu kehren, bewirkt in zunehmendem Maße, das deutsche Volk in der ganzen Welt zu verteufeln."
    Der Film provozierte unzählige Debatten in Rundfunk und Fernsehen wie in Familien- und Freundeskreisen über die NS-Verbrechen, über Täter, Mitläufer und Widerstand. Auf Ablehnung stieß die theatralische Herangehensweise, mit der der Film das Thema Judenmord in Szene setzte. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, selber ein Überlebender des Holocaust, beklagte die Trivialität der Fernsehserie.
    "Der Film arbeitet mit sehr fragwürdigen, oft primitiven künstlerischen Mitteln, er enthält große sentimentale, melodramatische, auch ausgesprochen kitschige Passagen. Der Kunstwert, der ästhetische Wert dieser Produktion ist minimal und oft ist der Film auch ärgerlich."
    Als trivial kritisiert
    Gleichwohl oder auch gerade deshalb wurde "Holocaust", besetzt mit prominenten Schauspielern wie Meryl Streep und James Woods, zu einem großen Medienereignis. Es war nicht mehr möglich, die NS-Verbrechen zu verschweigen und zu verharmlosen wie in den Jahrzehnten zuvor, so der Historiker Peter Steinbach:
    "Die Reaktion der Zuschauer auf den Film Holocaust weist eigentlich darauf hin, dass man jahrzehntelang Probleme mit sich rumgeschleppt hat, die man wahrscheinlich systematisch verdrängt hat. Dieser Film war überraschenderweise nicht deutschenfeindlich und erlaubte eine Identifikation mit den Beteiligten, die wahrscheinlich einmalig war."
    Historiker bezeichnen "Holocaust" daher als Meilenstein in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Was wissenschaftliche Veröffentlichungen, Dokumentationen und der Schulunterricht nicht vermochten, gelang dem vierteiligen Fernsehfilm: eine breite deutsche Öffentlichkeit setzte sich mit den Nazi-Verbrechen auseinander.