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Vor 40 Jahren
Erste große Anti-Atom-Demonstration

In den 1960er Jahren dominierte in der Bundesrepublik die Rede von der "friedlichen Nutzung der Atomenergie". Erst in den 70ern formierte sich der Anti-Atom-Protest zu einer schlagkräftigen Massenbewegung. Eine der größten Demonstrationen richtete sich gegen die geplante Wiederaufarbeitungsanlage Gorleben.

Von Wolfgang Stenke | 31.03.2019
    Bauern, Studenten und Umweltschützer demonstrieren in Hannover gegen die Errichtung eines Endlagers für Atommüll in Gorleben
    Bauern, Studenten und Umweltschützer demonstrieren am 31.03.1979 in Hannover gegen die Errichtung eines Endlagers für Atommüll in Gorleben (epd-bild / Burkhart Vietzke)
    "Wehrt Euch, leistet Widerstand gegen das Atomkraftwerk im Land. Schließt Euch fest zusammen, wehrt Euch"
    Es war die größte Anti-Atom-Kundgebung, die die Bundesrepublik bis dahin gesehen hatte: Etwa 40.000 Menschen demonstrierten nach Angaben der Polizei am 31. März 1979 in Hannover gegen das Projekt eines "nuklearen Entsorgungszentrums" in Gorleben. Mit Traktoren, zu Fuß oder auf Pferdewagen war der Gorleben-Treck eine Woche zuvor im Wendland aufgebrochen, um den Protest in die niedersächsische Landeshauptstadt zu tragen.
    "Warum darf die Atomindustrie Abfall produzieren, bevor sie weiß, wo sie mit dem Abfall bleibt? Jeder Landwirt muss den Nachweis erbringen, wo der Mist seiner Schweine und Kühe bleibt, bevor er einen Stall bauen darf!"
    Erst 1976, als die Atomwirtschaft schon seit Jahren florierte, hatten der Bund und die Länder die Verantwortung für die Lagerung so genannter radioaktiver Reststoffe übernommen. Niedersachsen entschied sich 1977 für den Standort Gorleben als "Entsorgungszentrum". Nahe der Grenze zur DDR sollte in einem Salzstock ein Endlager entstehen – plus Brennelementefabrik und Wiederaufarbeitungsanlage. Wie an anderen Standorten von Atomprojekten – etwa in Kalkar, Brokdorf oder Wyhl – regte sich Widerstand.
    "Plutonium ist ein Gift, darüber besteht kein Zweifel"
    Die Landesregierung in Hannover unter CDU-Ministerpräsident Ernst Albrecht entschied sich in dieser Situation, das Problem der Wiederaufarbeitung auf einem Symposion durch Experten prüfen zu lassen. Unter dem Vorsitz des Physikers Carl Friedrich von Weizsäcker debattierten Anhänger wie Gegner der Atomenergie. – Klaus Knizia zum Beispiel, Vorstandsvorsitzender der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen, erklärte die Risiken der Wiederaufarbeitung, bei der Plutonium anfällt, für unschwer beherrschbar:
    "Plutonium ist ein Gift, darüber besteht kein Zweifel, aber es hat eine Reihe die Gefährdung abschwächender Eigenschaften. Was die Abschirmung gegen seine Strahlung betrifft, so könnte ein Mensch ungefährdet darauf sitzen mit nicht mehr Schutz als einem soliden Paar Jeans auf dem Körper."
    Expertisen dieser Art stießen auf Widerspruch, zumal im Laufe der Anhörung aus den USA die Nachricht von der Havarie des AKW Harrisburg eintraf. Die partielle Kernschmelze des Reaktors "Three Mile Island" beeindruckte nicht allein die Demonstranten vor der Staatskanzlei und die zum Gorleben-Hearing versammelten Experten. In einer Regierungserklärung gab Ministerpräsident Albrecht wenig später bekannt:
    "Obwohl es gesetzlich möglich wäre, hält die Landesregierung es nicht für richtig, eine Wiederaufarbeitungsanlage zu bauen, solange es nicht gelungen ist, breite Schichten der Bevölkerung von der Notwendigkeit und sicherheitstechnischen Vertretbarkeit der Anlage zu überzeugen."
    Verzicht auf die Wiederaufarbeitung, gleichzeitig aber Untersuchung des Salzstocks auf seine Eignung als Endlager. Wieder gab es Proteste. Demonstranten besetzten im Mai 1980 die "Tiefbohrstelle 1004", bauten ein Hüttendorf und riefen die "Republik Freies Wendland" aus. Vom Zusammenstoß mit der Staatsmacht im Juni berichtete der Piratensender "Radio Freies Wendland":
    "Der Dorfplatz ist jetzt geräumt. Es stehen nur noch Polizisten auf dem Dorfplatz und formieren sich jetzt, um die Leute, die unter dem Turm sind, wegzuräumen."
    Neben der Erkundung des Salzstocks entstanden in Gorleben Zwischenlager für radioaktive Abfälle. Auch dagegen gab es jahrelang Proteste. Nach dem Atomausstieg empfahl die so genannte Endlagerkommission ein Verfahren, bei dem bis 2031 unter umfassender Beteiligung der Öffentlichkeit ein möglichst sicherer Standort gefunden werden soll. Die Suche im gesamten Bundesgebiet beginnt bei Null. Gorleben, das bisher 1,9 Milliarden Euro verschlungen hat, entspricht nicht den geforderten Kriterien: Das Deckgebirge ist zu dünn. Doch in der Region bleibt man weiterhin skeptisch, ob dieser Ort endgültig ausscheidet.