Mit wehenden Union-Jack-Fähnchen und lautem Jubel feierten die Menschen in Gibraltar am 30. Mai 1969 die neue Verfassung. Gibraltar sollte nun keine Kronkolonie mehr sein, sondern autonomer Teil der britischen Überseegebiete.
"Als Teil der Hoheitsgebiete Ihrer Majestät sieht Ihre Majestät für Gibraltar eine neue Verfassung vor."
Ohrfeige für Spanien
Für Spanien war das eine Ohrfeige. Es betrachtete den Felsen an der Südspitze als Teil seines Territoriums. Durch die Verfassung rückten diese Ansprüche in weite Ferne. In einem radikalen Schritt ließ Diktator Francisco Franco Anfang Juni die Grenzen schließen, die Telefonleitungen kappen, den Schiffs- sowie Flugverkehr sperren.
Es war ein Höhepunkt in einem Streit, der schon seit der britischen Eroberung Gibraltars 1704 während des Spanischen Erbfolgekriegs schwelte. Laut Friedensvertrag von Utrecht hatte Spanien der britischen Krone die Rechte an der dortigen Festung und dem Hafen "für alle Zeiten" übertragen. Doch ob sich die auch auf den restlichen Grund und Boden bezogen, blieb strittig. Großbritannien baute seine Kronkolonie aus. Und Spanien versuchte mehrfach, Gibraltar zurückzuerobern. Vergeblich.
Weithin sichtbares Symbol einer Kränkung
Der strategisch zwischen Mittelmeer und Atlantik gelegene Kalkfelsen mit dem markanten Profil wurde zum Sinnbild für die Macht Großbritanniens – und für Spanien zum weithin sichtbaren Symbol einer Kränkung.
General Franco schrieb sich die Tilgung dieser "nationalen Schmach" auf die Fahne. Im Radio trällerte Schlagerstar José Luis "Die Welt weiß, dass Gibraltar immer spanisch sein wird". Auf diplomatischem Gebiet stellte Außenminister Fernando María Castiella die Weichen. 1963 brachte Spanien, das erst seit 1955 vollwertiges UNO-Mitglied war, seine Position bei den Vereinten Nationen vor.
"Es handelt sich um ein wahres Krebsgeschwür, das die Wirtschaft im Süden unseres Landes beeinträchtigt und sich allein von ihr nährt.
Wir glauben und hoffen, dass wir im freundschaftlichen Dialog mit Großbritannien unsere berechtigten Forderungen zufriedenstellend lösen können, wenn nötig im Rahmen dieser Organisation."
Tauziehen um Gibraltar
Ein Tauziehen begann. Großbritannien reklamierte im Rahmen der UN-Entkolonialisierungspolitik das Selbstbestimmungsrecht für seine Kolonie. Spanien beharrte auf der Wahrung der territorialen Integrität – und erhielt Recht. Der diplomatische Erfolg nutzte wenig. Großbritannien schuf Fakten und ließ die Bewohner 1967 über eine Rückkehr nach Spanien abstimmen. Die Zukunft in einer Diktatur, in der das Pro-Kopf-Einkommen gerade einmal halb so hoch war, schien wenig verlockend. 96 Prozent wollten bei Großbritannien bleiben. Zwei Jahre später erhielt Gibraltar seine Verfassung und Franco schloss die Grenzen. Sowohl für Gibraltar wie für die spanischen Nachbarregionen hatte das traumatische Folgen: Die Wirtschaft brach ein, Familien wurden auseinandergerissen. Elisabeth Farrel erinnert sich.
"Die Leute gingen runter zur Grenze, winkten und riefen von der einen Seite zur anderen: 'Hallo, wie geht es?' Für mich, meine Geschwister und meinen Vater war es erniedrigend, uns so zurufen zu müssen, dass jemand krank war oder zu fragen, wie es der Oma ginge. Zum Glück hatte unsere Familie während der Grenzschließung keine Toten zu beklagen, aber viele informierten sich so, ob jemand im Sterben lag oder ein Baby bekommen hatte."
"Die Leute gingen runter zur Grenze, winkten und riefen von der einen Seite zur anderen: 'Hallo, wie geht es?' Für mich, meine Geschwister und meinen Vater war es erniedrigend, uns so zurufen zu müssen, dass jemand krank war oder zu fragen, wie es der Oma ginge. Zum Glück hatte unsere Familie während der Grenzschließung keine Toten zu beklagen, aber viele informierten sich so, ob jemand im Sterben lag oder ein Baby bekommen hatte."
Wachsendes Misstrauen gegenüber Spanien
13 Jahre, bis 1982, blieben die Verbindungen nach Spanien gekappt. Die Lage an der Grenze normalisierte sich Schritt für Schritt, an ihrem Hoheitsanspruch aber hielten auch die Regierungen des demokratischen Spaniens fest. Dabei wurden sie von den Bewohnern des sogenannten Peñón argwöhnisch beobachtet, sagt Andrew Canessa, Soziologe und Leiter des Oral History Projekts "Bordering on Britishness".
"Als die Grenzen 1982 wieder geöffnet wurden, hätte man vermuten können, dass nun alles wieder so würde wie früher. Aber das trat nicht ein. An der Grenze gab es weiter Schwierigkeiten und die Bewohner Gibraltars fühlten sich von der spanischen Regierung bedroht. Dieses Misstrauen wächst bis heute."
"Als die Grenzen 1982 wieder geöffnet wurden, hätte man vermuten können, dass nun alles wieder so würde wie früher. Aber das trat nicht ein. An der Grenze gab es weiter Schwierigkeiten und die Bewohner Gibraltars fühlten sich von der spanischen Regierung bedroht. Dieses Misstrauen wächst bis heute."
Als Madrid und London 2002 eine geteilte Souveränität vorschlugen, pinselten viele Gibraltareños "Wir bleiben britisch" auf ihre Häuser und stimmten mit 98,5 Prozent dagegen. Ob der Brexit an dieser Haltung etwas ändert, wird sich zeigen.