"Unser Freund Amrehn hat vorhin die junge Frau, die diese Attacke auf mich machte, in Verbindung gebracht mit der Zeitschrift 'Combat', das ist richtig, sie schreibt dort gelegentlich nicht gerade sehr freundliche Artikel."
Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger am 7. November 1968 auf dem 16. Parteitag der CDU in der Berliner Kongresshalle.
"Aber was sie hier getrieben hat, das steht vielmehr in Verbindung mit jenen Radaugruppen, die wir in dem letzten Jahr in Deutschland in unseren Universitätsstädten und sonstwo erlebt haben."
Die junge Frau, die kurz zuvor den Kanzler der ersten Großen Koalition geohrfeigt hatte, heißt Beate Klarsfeld. Der Mann der gebürtigen Berlinerin, Serge Klarsfeld, war 1943 in Nizza als Kind nur knapp der Deportation in ein deutsches Vernichtungslager entgangen. Er, seine Mutter und die Schwester überlebten, weil der Vater - ein exilierter rumänischer Jude - die Gestapo vom Versteck der Familie ablenken konnte. Arno Klarsfeld wurde in Auschwitz ermordet. Dieses jüdische Familienschicksal war das erste Glied in der Motivkette, die zu der symbolischen Ohrfeige führte, mit der Beate Klarsfeld in die Zeitgeschichte einging.
"Das Anliegen war, als Deutsche selbst zu sagen: Das kann man nicht zulassen, dass ein Mann, der Nazipropagandist war und der seine Intelligenz in den Dienst des Nazismus gestellt hat, die deutsche Regierung vertritt. Und mein Mann sagt immer: 'Das Wichtigste in deinem Leben, was Du getan hast, war die Ohrfeige'."
Klarsfeld kämpfte gegen die Bagatellisierung der NS-Zeit
Die Heirat mit Serge Klarsfeld machte aus dem politisch unbedarften Aupair-Mädchen Beate Künzel, das 1960 nach Paris gekommen war, eine höchst interessierte Zeitgenossin. Sie stammte aus einem Land, in dem nach der Niederlage von 1945 die NS-Vergangenheit nicht selten verdrängt oder bagatellisiert wurde. Gegen diese Haltung wehrte sich Beate Klarsfeld, mittlerweile Sekretärin beim Deutsch-Französischen Jugendwerk in Paris, als der CDU-Politiker Kurt Georg Kiesinger 1966 zum Bundeskanzler gewählt wurde. In der linken Zeitung "Combat" schrieb sie damals:
"Wenn die deutschen Staatsgeschäfte von einem Mann geführt werden, der - selbst wenn nur aus Opportunismus - NSDAP-Mitglied gewesen war, so heißt das, dass die deutsche Öffentlichkeit einer gewissen Zeit und einer gewissen Einstellung die Absolution erteilt hat."
Diese Kritik reichte dem Deutsch-Französischen Jugendwerk für die fristlose Kündigung. Das Ehepaar Klarsfeld aber gab nicht auf. In Archiven suchten die beiden – auch mit Unterstützung der DDR - nach Dokumenten, die Kiesingers NS-Karriere beleuchteten. Obgleich kein Beamter, war der Jurist und NSDAP-Mann entgegen seiner eigenen Darstellung nicht bloß ein kleiner "wissenschaftlicher Hilfsarbeiter" im Auswärtigen Amt. Vielmehr unterstand ihm als stellvertretendem Leiter der Rundfunkabteilung ab 1943 die gesamte Radiopropaganda fürs Ausland. Nach 1945 wurde Kiesinger als "Mitläufer" entnazifiziert. – Beate Klarsfeld: "Für mich verkörpert Herr Kiesinger die Respektabilität des Bösen."
Symbolischer Schlag ins Gesicht
Darauf machte Beate Klarsfeld mit ihrer spektakulären Kampagne gegen Kiesinger aufmerksam – zunächst durch Zwischenrufe von der Besuchertribüne des Bundestags, dann mit der Ohrfeige vom 7. November 1968. Noch am selben Tage gab es dafür ein Jahr Gefängnis, später auf vier Monate mit Bewährung reduziert.
"Der Vorsitzende Richter sagte: 'Frau Klarsfeld, Sie haben Gewalt angewandt!' Ich sagte: ‚Gewalt ist es, wenn man der deutschen Jugend einen Nazikanzler aufzwingt'."
Der symbolische Schlag auf die Wange Kiesingers war erst der Beginn von weiteren Aktionen, mit denen die Klarsfelds die deutsche Gesellschaft zur Auseinandersetzung mit dem NS-Regime und dem Massenmord an den Juden drängten. Durch den gescheiterten Versuch, den SS-Offizier Kurt Lischka nach Frankreich zu entführen, erzwangen sie die Verurteilung bislang unbehelligter NS-Funktionäre, die für die Deportation von mehr als 70.000 Juden aus Frankreich verantwortlich waren. Auch die Beteiligung französischer Beamter wurde so aktenkundig. Mit Hilfe der Klarsfelds konnte 1983 der Gestapo-Offizier Klaus Barbie in Bolivien gefasst werden. 1987 machte die französische Justiz dem "Schlächter von Lyon" den Prozess. Die Partei "Die Linke" nominierte Beate Klarsfeld 2012 als Kandidatin für die Wahl zum Amt des Bundespräsidenten. Sie unterlag Joachim Gauck. Er war es, der Beate und Serge Klarsfeld 2015 das Bundesverdienstkreuz verlieh.