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Vor 50 Jahren
Das Kent-State-Massaker in Ohio

Am 4. Mai 1970 versammelten sich Studenten der Uni von Ohio auf dem Campus, um gegen die Ausweitung des Vietnam-Krieges nach Kambodscha zu demonstrieren. Die Nationalgarde marschierte auf, eröffnete das Feuer - ohne bedroht worden zu sein, wie das FBI später feststellt.

Von Almut Finck |
    Am 4. Mai 1970 kniet Mary Ann Vecchio vor dem Kommilitonen Jeffrey Miller auf dem Campus der Kent State University in Ohio. Zuvor hatte die Nationalgarde vier Studenten erschossen, die gegen die US-Bombardierung von Kamboscha demonstriert hatten.
    Tragödie auf dem Campus: Die Studentin Mary Ann Vecchio vor einem verletzten Kommilitonen (AP Photo / John Filo)
    Martialisch das Auftreten der rund tausend Nationalgardisten: Schwarze Uniformen, schwarze Helme, Masken zum Schutz vor dem Tränengas, das sie verschießen. Dazu die Waffen: halbautomatische Gewehre mit aufgepflanzten Bajonetten.
    Panisch läuten Studenten die Assembly Bell, eine Versammlungsglocke. Ein Trupp Soldaten treibt Hunderte einen Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter, zu einem Parkplatz. Die Gejagten werfen Steine – ohne zu treffen. Ihre Verfolger bleiben auf Distanz, marschieren schließlich ab, den Hügel wieder hoch.
    "Es sah aus wie ein Rückzug. Wir dachten, die ganze Konfrontation sei vorbei. Als sie die Hügelkuppe erreichten, drehten sie sich plötzlich um und schossen."
    Nixon will Vietnamkrieg ausweiten
    Die Soldaten schießen nicht in die Luft, sie zielen direkt auf die Studenten. 67 Mal drücken sie ab. 13 junge Menschen werden schwer verletzt, vier überleben nicht. Der Vater der getöteten Sandy Scheuer, ein Jude, war einst vor den Nazis in die USA geflüchtet.
    "Dass so etwas möglich ist, Menschen einfach so abzuknallen. Wie damals in Europa, oder in Russland unter dem Zaren."
    Ihren Anfang nimmt die Tragödie am 30. April 1970. Im Fernsehen spricht Präsident Richard Nixon zur amerikanischen Nation. 1968 hat er noch seine Wahl mit dem Versprechen gewonnen, die 500.000 in Indochina stationierten GIs nach Hause zu holen. Jetzt will er den Vietnamkrieg ausweiten, auf das neutrale Kambodscha.
    "Ich bitte um Ihre Unterstützung. Für unsere tapferen Männer. Die heute Abend am anderen Ende der Welt nicht für Geländegewinne oder Ruhm kämpfen, sondern dafür, dass ihre jüngeren Brüder und unser aller Söhne in einer Welt des Friedens, der Freiheit und der Gerechtigkeit aufwachsen können."
    Massive Antikriegsdemonstrationen gibt es seit Jahren, in den USA und weltweit.
    "We want peace in Vietnam!"
    Jetzt verschärfen sich die Proteste. Einen Tag nach Nixons Rede werden an der Kent State University Fahnen verbrannt und Kopien der amerikanischen Verfassung. Der Bürgermeister des Städtchens fordert die Nationalgarde an. Am 3. Mai besetzen die Soldaten den Campus der Universität. Am 4. Mai dann die Katastrophe.
    Keine Anklage gegen die Schützen
    Die Mehrheit der Amerikaner ist entsetzt. An fast 500 Universitäten treten Studenten und Professoren in den Streik. Der Rockmusiker Neil Young schreibt spontan einen Song über die Toten von Ohio, er wird zur Hymne der Kriegsgegner.
    Nie wurde ermittelt, wer den Schießbefehl gab. Ein Richter lehnte es ab, Anklage gegen die Schützen zu erheben.
    Doch nach den Schüssen von Kent begann sich langsam etwas zu ändern im Land. Klaus Bölling, damals Leiter des ARD-Studios in Washington:
    "Das schöne Phänomen ist für mich gewesen zu beobachten, wie erst die jungen Männer und die jungen Frauen aufstanden. Gegen diesen sinnlosen Krieg. Und dann allmählich die Eltern sagten, unsere Kinder haben wohl recht. Das war eine zunehmende Moralisierung der amerikanischen Mittelklasse. Und das hat dann auch zum Ende von Richard Nixon geführt."
    Präsident Nixon trat am 9. August 1974 im Zuge der Watergate Affäre zurück. Die letzten amerikanischen Soldaten verließen am 30. April 1975 Saigon, auf den Tag genau fünf Jahre nach dem Fernsehauftritt Richard Nixons, der die Kent State Proteste ausgelöst hatte. Die Zahl der in Vietnam gefallenen Amerikaner: 58 000. Die der Vietnamesen: rund drei Millionen.