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Vor 50 Jahren
DDR-Todesurteil gegen KZ-Arzt

Es war auch der Kampf der Systeme, der die DDR dazu antrieb, den KZ-Arzt Horst Fischer vor Gericht zu stellen. Sie wollte im Prozess beweisen, dass sie im Kampf gegen den Faschismus konsequenter vorging als der Westen. Am 25. März 1966, vor 50 Jahren, wurde das Todesurteil verkündet.

Von Bernd Ulrich |
    Der Angeklagte Horst Fischer (r) bei Prozessbeginn. Am 10.03.1966 wurde vor dem Obersten Gericht der Sowjetzone in Ost-Berlin der Prozess gegen den ehemaligen Arzt des Konzentrationslagers Auschwitz eröffnet. Ihm wird vorgeworfen, von November 1942 bis Januar 1945 Zehntausende von Häftlingen selektiert und zur Vernichtung durch Zyklon-B-Gas bestimmt zu haben.
    Der Angeklagte Horst Fischer (r) bei Prozessbeginn. Am 10.03.1966 wurde vor dem Obersten Gericht der Sowjetzone in Ost-Berlin der Prozess gegen den ehemaligen Arzt des Konzentrationslagers Auschwitz eröffnet. ( picture-alliance/dpa/UPI)
    - "Angeklagter Fischer, damit sind wir am Ende der Hauptverhandlung. Ich gebe Ihnen das letzte Wort. Was haben Sie dem Gericht noch zu sagen?"
    - "Ich habe nichts verschwiegen und bin mir der Schwere der Verbrechen voll bewusst."
    Wir schreiben den 25. März 1966: Vor dem Obersten Gerichtshof der DDR steht seit dem 10. März des Jahres Dr. med Horst Paul Sylvester Fischer, so sein voller Name, Jahrgang 1912. Er ist angeklagt wegen massiver "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", tausendfach begangen an der Rampe von Auschwitz-Birkenau. Über 70.000 Menschen - Frauen, Männer, Kinder, Greise -, hat Fischer für die Gaskammern selektiert.
    Dr. Antoni Makowski, einst Häftlingsarzt, berichtete, wie Fischer reagierte, nachdem bei einem Luftangriff auch Häftlinge verwundet worden waren:
    "Am Tag nach dem Angriff kam Fischer ins überfüllte Revier, erkundigte sich nach dem Zustand der Verwundeten und forderte von mir eine Liste derer, die dringend geröntgt werden müssten. Es waren zehn oder zwölf Mann. Drei Tage später kam der SS-Sanitäter Neubert mit der Liste dieser Leute und holte sie zum Röntgen ab. Die Röntgenstelle war die Gaskammer von Birkenau."
    Präzise Darstellung des Lageralltags
    Fischer war voll geständig, wie er mit weicher Stimme ein ums andere Mal versicherte. Und seine Schilderungen des Lageralltags, inklusive der von ihm überwachten Mordaktionen in der Gaskammer, waren äußerst präzise:
    "Ich habe gesehen, dass die Leichen übereinander getürmt lagen, die Füße lagen jeweils an der Außenseite und die Köpfe in der Mitte des Raumes. Man hörte zu Anfang einzelne Schreie und dann später ein einziges, tiefes röchelndes Atmen."
    Das Todesurteil war Fischer gewiss. Da half das Plädoyer seiner Anwälte für eine lebenslange Freiheitsstrafe wenig. Und auch, dass er nur einer von vielen jungen Akademikern war, die ihre Karriere und ihre Zukunft nach 1933 ganz mit dem Verbrecherregime verquickt hatten, konnte ihn nicht retten. Im Falle Horst Fischer hieß das, dass er nach seiner auf eigenen Wunsch erfolgten Versetzung nach Auschwitz im November 1942 binnen weniger Monate zu einem der ranghöchsten Mord-Ärzte der SS mutierte.
    Am 25. März 1966 verkündete der Vorsitzende Richter, Dr. Heinrich Töplitz, denn auch "im Namen des Volkes":
    "Der Angeklagte wird wegen fortgesetzt begangenen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt."
    Das Urteil war freilich bereits zuvor gefällt und festgelegt worden, letztlich von der SED-Führung unter Walter Ulbricht, umgesetzt und gesteuert durch die Staatssicherheit. Diese Einflussnahme umfasste überdies den genauen Ablauf der Verhandlungstage, bis hin zu der Entscheidung, Fischers unheilvolles Wirken im mit der IG Farben betriebenen KZ Buna/Monowitz in den Mittelpunkt zu stellen. Denn in Gestalt der IG-Farben-Manager kam damit zugleich der westdeutsche Kapitalismus auf die Anklagebank und seine in der DDR-Optik eindeutige Verantwortung für den Aufstieg des, wie es hieß, Faschismus – ein im Systemwettkampf beider deutscher Staaten nicht zu unterschätzendes Kriterium.
    Parallel zu den Frankfurter Auschwitz-Prozessen
    Nach und parallel zu den Frankfurter Auschwitz-Prozessen sollte der Schauprozess gegen Fischer die NS-Verfolgungskonsequenz der DDR unter Beweis stellen. Aber Fischer hatte bereits seit Kriegsende in der Ostzone, dann in der DDR, als Arzt gelebt. Aufgefallen war er der Stasi eher durch Westkontakte, denn durch seine NS-Vergangenheit – die war in der DDR eigentlich schon ad acta gelegt. Der Schriftsteller und Drehbuchautor Jurek Becker hat es 1994, drei Jahre vor seinem Tod, ironisch auf den Punkt gebracht:
    "Die DDR hat von ihrer ersten Stunde an mit einer Lüge gelebt. Natürlich wurde über die Verbrechen der Nazis geredet, außerordentlich viel sogar, aber das waren die Verbrechen der anderen. Es waren stets die Untaten dieser schrecklichen Aliens, die wir, die Antifaschisten, mit etwas Unterstützung durch die Rote Armee, besiegt hatten. Von den zehntausend Antifaschisten, die es in Nazideutschland gegeben haben mag, lebten allein acht Millionen in der DDR."
    Am 8. Juli 1966 erfolgte Fischers Hinrichtung in der Justizvollzugsanstalt Leipzig. Kaum jemand wird diesem Mörder mit der sanften Stimme eine Träne nachgeweint haben. Aber die Art und Weise des Prozesses gegen ihn war zugleich auch Teil einer verhängnisvollen Gesinnungsjustiz, wie sie in der DDR praktiziert wurde.