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Vor 50 Jahren
Die Auslieferung von KZ-Kommandant Franz Stangl

Er war für den Tod von nahezu einer Million Juden verantwortlich - Franz Stangl, KZ-Kommandant der Vernichtungslager Sobibor und Treblinka. Nach Kriegsende flüchtete er nach Syrien, kurz darauf nach Brasilien. Nach jahrelanger Suche wurde er gefasst und vor 50 Jahren an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert.

Von Otto Langels |
    Der ehemalige Kommandant der Vernichtungslager Treblinka und Sobibor, Franz Stangl (r) wird am 23. Juni 1967 von einem Polizeibeamten zum Flughafen nach Rio de Janeiro (Brasilien) gebracht, um an die Bundesrepublik ausgeliefert zu werden. Franz Stangl, der nach dem Zweiten Weltkrieg über Italien und Syrien 1951 nach Brasilien emigrierte und dort unter seinem Namen in einem Zweigwerk des Volkswagenwerkes arbeitete, wurde von Simon Wiesenthal aufgespürt und 1967 an die Bundesrepublik ausgeliefert.
    Der ehemalige Kommandant der VernichtungslagerTreblinka und Sobibor, Franz Stangl (r) wird am 23. Juni 1967 von einem Polizeibeamten zum Flughafen nach Rio de Janeiro (Brasilien) gebracht, um an die Bundesrepublik ausgeliefert zu werden. (picture alliance / dpa / UPI)
    "Ein Häftling von Treblinka, ein Arbeitsjude, beschreibt ihn als den vornehmen, den eleganten SS-Mann, der nicht schlägt, er ist kaum sichtbar im Lager." Der elegante SS-Mann, von dem der Berliner Historiker Wolfgang Benz spricht, war Franz Stangl, Kommandant des Vernichtungslagers Treblinka. "Stangl lässt andere die Brutalitäten machen. Ganz zweifellos hat Stangl genossen, dass er an der Spitze einer Einrichtung steht, die monströse Verbrechen begeht, wie sie die Menschheit noch nicht gekannt hat."
    Franz Stangl, 1908 im österreichischen Altmünster geboren, stammte aus einfachen Verhältnissen. Er machte eine Lehre als Weber, ging zur Polizei und trat nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland 1938 der NSDAP und der SS bei. In den Reihen der Gestapo war er an der sogenannten T4-Aktion beteiligt, der systematischen Ermordung behinderter Menschen, bevor er 1942 erst Kommandant des Vernichtungslagers Sobibor und ein halbes Jahr später des Lagers Treblinka wurde.
    Vernichtungslager in Sobibor und Treblinka
    "In Treblinka das Hauptprodukt war eigentlich der Tod", berichtete später Richard Glazar, einer der wenigen überlebenden Juden. "Verbrennen von Leichen, Mischen der Asche mit dem Sand, sodass nichts mehr als eine aschfahle Masse da blieb, also nichts." Wegen seiner "Verdienste" bei der Ermordung von mehr als einer Million Menschen in Sobibor und Treblinka beförderte Heinrich Himmler, Reichsführer der SS, Franz Stangl zum Hauptsturmführer und zeichnete ihn als einen der "besten Lagerführer" aus.
    Nach dem Ende des NS-Regimes wurde Stangl interniert, konnte aber 1948 fliehen. "Den Rest verdankt er der Güte Gottes, um es genauer zu sagen, der Barmherzigkeit der katholischen Kirche." Über eine der so genannten Rattenlinien, so Wolfgang Benz, konnte sich Stangl – wie viele andere Nazi-Täter – mit Hilfe katholischer Kreise nach Italien durchschlagen. "In Rom fragt er sich durch zum Vatikan und zum Bischof Hudal. Der empfängt ihn, gibt ihm beide Hände und sagt: Sie müssen Franz Stangl sein. Auf Sie hab ich gewartet."
    Kerzen brennen am 14.10.2013 vor der Gedenkstätte des ehemaligen Vernichtungslagers Sobibor, um an die Opfer zu erinnern, die dort im Zweiten Weltkrieg umgebracht wurden.
    Die Gedenkstätte des ehemaligen Vernichtungslagers Sobibor, wo SS-Leute ab 1942 250.000 Juden und Roma in die Gaskammern trieben. (AFP / Janek Skarzynski)
    Flucht nach Syrien
    Der Bischof sorgte dafür, dass Stangl in Syrien untertauchen konnte. Der SS-Mann ließ seine Familie nachkommen und zog 1951 mit Frau und drei Kindern weiter nach Brasilien. Aber während allmählich das KZ Auschwitz und Adolf Eichmann im öffentlichen Bewusstsein zu Chiffren des Holocaust wurden, interessierte sich zunächst kaum jemand für Sobibor und Treblinka und den Massenmörder Franz Stangl, erklärt Benz: "Alle Welt blickt auf Auschwitz. Die Vernichtungslager, die keinen anderen Zweck haben, als Menschen sofort nach Ankunft umzubringen, da gibt es kaum Zeugen, also das ist sehr viel weniger ins öffentliche Interesse gerückt."
    Dies änderte sich in den 1960er-Jahren. Doch während sich andere NS-Täter vor Gericht verantworten mussten, galt Franz Stangl als unauffindbar, bis der KZ-Überlebende Simon Wiesenthal, der eine Vielzahl von NS-Verbrechern aufspürte, 1964 von einem ehemaligen Gestapomann einen Hinweis auf den Wohnort Stangls bekam; allerdings erst, nachdem er eine Belohnung versprochen hatte: "Wenn Franz Stangl verhaftet wird, zahle ich 7.000 Dollar."
    Auslieferung an die Bundesrepublik
    Es vergingen dann noch drei Jahre bis zur Festnahme. Am 23. Juni 1967 wurde er an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert. Im Mai 1970 begann der Prozess gegen Franz Stangl vor dem Landgericht Düsseldorf, erinnert sich Wiesenthal: "Am ersten Tag des Prozesses habe ich gesagt: Wenn ich in meinem ganzen Leben nur das Eine gemacht hätte, diesen Mann vor Gericht zu bringen, dann habe ich nicht umsonst gelebt."
    Während der Verhandlung versuchte sich Stangl als harmloser Befehlsempfänger darzustellen und die Verantwortung für den Massenmord auf andere abzuwälzen. In seinem Schlusswort beteuerte er: "Der Herrgott kennt mich, und mein Gewissen verurteilt mich nicht." Das Gericht verurteilte Franz Stangl wegen gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 400.000 Juden zu lebenslanger Haft. Bevor das Urteil rechtskräftig wurde, starb er an den Folgen eines Herzanfalls im Juni 1971 im Gefängnis.