September 1968. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund SDS hatte zur 23. Delegiertenkonferenz nach Frankfurt am Main geladen. Schon im Vorfeld gab es im Berliner SDS Diskussionen, denn viele Genossen sahen nicht ein, dass Delegierte des Aktionsrats zur Befreiung der Frauen nach Frankfurt reisen durften. Doch die Befürworter setzten sich durch.
Der Aktionsrat hatte sich Anfang 1968 in Berlin gegründet. Die Künstlerin Sarah Haffner erinnert sich an ihre Gründe sich anzuschließen.
Der Aktionsrat hatte sich Anfang 1968 in Berlin gegründet. Die Künstlerin Sarah Haffner erinnert sich an ihre Gründe sich anzuschließen.
"Wir waren daran gewöhnt, als Frauen von den Männern herumkommandiert zu werden. Aber immer hatte ich gedacht, was mache ich eigentlich falsch, dass die sich so komisch mir gegenüber verhalten? Dann kam ich dahin, und da erzählte die eine Frau irgend ein Erlebnis, was sie mit einem Mann gehabt hatte, wo der sie gar nicht wahrgenommen hat als Person, und dann eine andere Frau etwas ähnliches. Und es fiel einem wie Schuppen von den Augen, die haben ja alle dieselben Erfahrungen gemacht. Es war, als wenn man plötzlich aufwachte."
Das Private ist politisch
Als Vertreterin des Aktionsrates auf der SDS-Delegiertenkonferenz in Frankfurt hielt am 13. September die Filmstudentin Helke Sander eine Rede. Sie betonte, dass der Aktionsrat seine Arbeit nur in Verbindung mit anderen progressiven Organisationen leisten könne - und dazu zähle der SDS. Aber: Der SDS müsse die spezifische Problematik der Frauen begreifen. Kindererziehung und Hausarbeit seien nicht Privatsache der Frauen. Das Private sei politisch.
"Sollte dem SDS der Sprung nach vorne nicht gelingen, dann wären wir allerdings auf einen Machtkampf angewiesen, was eine ungeheure Energieverschwendung bedeuten würde, denn wir würden diesen Machtkampf gewinnen, da wir historisch im Recht sind."
"Nachdem ich diese Rede gehalten habe, dann gab es die Mittagspause und nachher sollte es im alten Stiefel weitergehen."
Über die Rede Helke Sanders wollten die Genossen nicht diskutieren. Um dem "alten Stiefel" vorzubeugen, schmiedete die Berliner SDSlerin Sigrid Rüger in der Mittagspause einen Plan:
"Sollte dem SDS der Sprung nach vorne nicht gelingen, dann wären wir allerdings auf einen Machtkampf angewiesen, was eine ungeheure Energieverschwendung bedeuten würde, denn wir würden diesen Machtkampf gewinnen, da wir historisch im Recht sind."
"Nachdem ich diese Rede gehalten habe, dann gab es die Mittagspause und nachher sollte es im alten Stiefel weitergehen."
Über die Rede Helke Sanders wollten die Genossen nicht diskutieren. Um dem "alten Stiefel" vorzubeugen, schmiedete die Berliner SDSlerin Sigrid Rüger in der Mittagspause einen Plan:
"Da habe ich einfach so bei mir gedacht: Also, da müsste man irgendwie ein bisschen handgreiflich werden, und da ich sowieso noch was zum Abendbrot zu Essen kaufen wollte, habe ich überlegt, nehme ich Eier mit oder nehme ich Tomaten mit und dann habe ich ein Säckchen Tomaten mitgenommen. Das hätte ich dann eben gegessen, wenn ich es für diesen Anlass nicht gebraucht hätte."
Wut und Empörung öffentlich machen
Helke Sander: "Und da hat sie gesagt, es geht jetzt nicht. Nach so einer Rede muss man das diskutieren, und wenn ihr das nicht wollt, dann seid ihr genauso reaktionär wie diejenigen, die ihr immer angreift."
Sigrid Damm-Rüger: "Es kam leider so, wie wir vermutet hatten. Dann habe ich eben mein Säckchen zerrissen und habe die Tomaten geworfen und nun war ja überhaupt der Teufel los, also dieser Tomatenwurf, der war im Grunde genommen der Funke im Pulverfass."
Helke Sander: "Und dann hat sie eine nach der anderen auf das Podium geschmissen. Das Schöne war auch, sie war hochschwanger, hatte rote Haare, stand im grünen Kleid da und schmiss diese Tomaten. Na ja, das war ein Aufruhr, und da haben sich am gleichen Abend in jeder Universitätsstadt Frauengruppen gegründet."
Sigrid Damm-Rüger: "Die Debatte war einfach nicht mehr abzuwürgen. Es wurde dann noch anderthalb Tage über die Frauenfrage und das Verhältnis der SDS-Genossen zu ihren Frauen und zu den SDS-Genossinnen diskutiert."
"Da war ich siegesgewiss, weil ich an den anderen Frauen im Saal gemerkt habe, wie die aufgesprungen sind und wie die dazwischengerufen haben und uns unterstützt haben, dass das jetzt endlich auf die Tagesordnung muss. Es sei ja überhaupt eine Schande, dass diese Frage seit Jahren nicht auf der Tagesordnung gestanden habe, und dass diese Frauen auch hochgegangen sind und ihrem Unmut Luft gemacht haben und Beiträge geliefert haben. Das hat deutlich gezeigt, das war genau das Richtige. Man muss das, was man im Kopf hat und was man an Wut und Empörung und Gefühlen und Wissen hat, das muss man öffentlich machen."
Wenige Monate später, im November 1968, fand in Hannover die 24. Delegiertenkonferenz des SDS statt. Dort soll es ein Flugblatt gegeben haben mit der Überschrift: "Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen". Die SDS-Frauen schienen sich radikalisiert zu haben, jedenfalls verbal. Aber als Auftakt der neuen Frauenbewegung gilt eine Tat: Sigrid Rügers Tomatenwurf.
Sigrid Damm-Rüger: "Es kam leider so, wie wir vermutet hatten. Dann habe ich eben mein Säckchen zerrissen und habe die Tomaten geworfen und nun war ja überhaupt der Teufel los, also dieser Tomatenwurf, der war im Grunde genommen der Funke im Pulverfass."
Helke Sander: "Und dann hat sie eine nach der anderen auf das Podium geschmissen. Das Schöne war auch, sie war hochschwanger, hatte rote Haare, stand im grünen Kleid da und schmiss diese Tomaten. Na ja, das war ein Aufruhr, und da haben sich am gleichen Abend in jeder Universitätsstadt Frauengruppen gegründet."
Sigrid Damm-Rüger: "Die Debatte war einfach nicht mehr abzuwürgen. Es wurde dann noch anderthalb Tage über die Frauenfrage und das Verhältnis der SDS-Genossen zu ihren Frauen und zu den SDS-Genossinnen diskutiert."
"Da war ich siegesgewiss, weil ich an den anderen Frauen im Saal gemerkt habe, wie die aufgesprungen sind und wie die dazwischengerufen haben und uns unterstützt haben, dass das jetzt endlich auf die Tagesordnung muss. Es sei ja überhaupt eine Schande, dass diese Frage seit Jahren nicht auf der Tagesordnung gestanden habe, und dass diese Frauen auch hochgegangen sind und ihrem Unmut Luft gemacht haben und Beiträge geliefert haben. Das hat deutlich gezeigt, das war genau das Richtige. Man muss das, was man im Kopf hat und was man an Wut und Empörung und Gefühlen und Wissen hat, das muss man öffentlich machen."
Wenige Monate später, im November 1968, fand in Hannover die 24. Delegiertenkonferenz des SDS statt. Dort soll es ein Flugblatt gegeben haben mit der Überschrift: "Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen". Die SDS-Frauen schienen sich radikalisiert zu haben, jedenfalls verbal. Aber als Auftakt der neuen Frauenbewegung gilt eine Tat: Sigrid Rügers Tomatenwurf.