Im Jahr 1938 veröffentlichte der aus dem niederen polnischen Landadel stammende Witold Gombrowicz den Roman "Ferdydurke" - und danach war in der polnischen Literatur vieles anders als vorher. Der 34-jährige Autor stellte alles auf den Kopf, was in seiner Umgebung heilig war: die Nation, die Religion, die gesittete Familie, aber er tat das nicht in Form eines direkten politischen Angriffs, sondern in Form der Satire und Groteske. Es geht um einen dreißigjährigen Schriftsteller namens J ozio, der sich in einen 17-jährigen Jungen zurückverwandelt. Das verschafft ihm die nötige Distanz, das Erwachsensein und die sogenannte Reife zu kritisieren und lächerlich zu machen.
"Dem Anschein nach gab es an nichts etwas auszusetzen. Sauberkeit, Ordnung und Sonne, Sparsamkeit und Bescheidenheit und die Düfte der Toilettensachen waren sogar noch besser als in den Schlafzimmern vergangener Zeiten. Und ich wusste nicht, wie es kam, dass der Schlafrock des modernen Intelligenzlers, sein Pyjama, sein Schwamm, seine Rasiercreme, seine Pantoffeln, Vichy-Pastillen und das Gummi-Gymnastikgerät seiner Frau, die helle, gelbe Gardine an dem modernen Fenster etwas so Widerliches an sich haben können. Standardisierung? Philistertum? Bürgerlichkeit? Nein, nicht das war es. Nein. Warum? Ich stand da, ohne die Formel dieses Beigeschmacks finden zu können."
Der gegen den Strom schwamm
Alles, was erhaben, vollkommen oder absolut ist, lehnte Gombrowicz ab. "Ferdydurke" – der Titel ist ein programmatisch den Sinn verweigerndes Kunstwort – lässt sich am ehesten als ein "Rück-Bildungsroman" charakterisieren. Witold Gombrowicz schwamm früh gegen den Strom. Er wurde am 4. August 1904 geboren, übersiedelte mit seiner Familie 1915 als Elfjähriger nach Warschau und begann bald, die gesellschaftlichen Riten seiner Klasse zu missachten. 1934 beendete er seine Tätigkeit als Gerichtsreferendar und entschloss sich, als Schriftsteller zu leben. "Ferdydurke" machte ihn umstritten und berühmt, sodass er im August 1939 die Jungfernfahrt des polnischen Überseedampfers "Chrobry" nach Buenos Aires mitmachen durfte. Kurz nachdem er dort angekommen war, überfiel Nazideutschland Polen – und aus dem beabsichtigten Zwei-Wochen-Aufenthalt in Argentinien wurden für Gombrowicz 24 Jahre.
Er lebte dort zunächst in ärmlichsten Verhältnissen, kam aber dann als Angestellter bei einer Bank unter und schrieb währenddessen an seinem Werk, das sich politischen Zeitfragen konsequent entzieht.
"Meine Bücher sollen nicht sagen: Sei, der du bist. Ich möchte, dass in euch eben das fruchtbar werde, was ihr für völlig steril und sogar für beschämend gehalten habt."
"Meine Bücher sollen nicht sagen: Sei, der du bist. Ich möchte, dass in euch eben das fruchtbar werde, was ihr für völlig steril und sogar für beschämend gehalten habt."
Gombrowiczs Romane sind Antiromane
Immer wieder schimmert in den Texten von Gombrowicz seine Bisexualität durch. Der Roman "Transatlantik" von 1953 ist dabei eine skurrile, absurd-komische Abrechnung mit erstarrten Traditionen, eine Parodie des klassischen Nationalepos in Form eines schriftstellernden Helden, der bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Buenos Aires angekommen ist, sich seiner patriotischen Pflicht verweigert und wie in "Ferdydurke" die Jugend und das Stadium der Unreife auskostet.
Gombrowiczs Romane sind Antiromane, sie verweigern sich den üblichen Anforderungen an die Form, leben durch ihre Sprache und ihre Stilistik, die alle möglichen Genres mischt. Als sein Hauptwerk gilt mittlerweile gerade deshalb sein Tagebuch, das er 1953 begann und kontinuierlich in der in Paris erscheinenden polnischen Exilzeitschrift "Kultura" veröffentlichte. Dabei geht es vor allem darum, das Ich als eine literarische Konstruktion vorzuführen.
"Um ehrlich zu sein, habe ich Gefühle immer nur in Anführungszeichen."
"Um ehrlich zu sein, habe ich Gefühle immer nur in Anführungszeichen."